Mensch. Gesellschaft. Meer.

Frau Müller, she knows #4

Brust raus, Bauch frei!

Wenn es draußen temperaturmäßig heiß hergeht, ist auch das alljährliche Schreckgespenst Bikinifigur nicht weit. Und mit ihm der Kalauer: «Wer keine Bikinifigur hat, muss eben nackt baden.» Frau Müller geht mit dieser ominösen Figur ins Gericht.

Illustration: OpenClipart-Vectors

Wenn im Frühling die Tage länger werden, kommt bei vielen Frauen eine alljährlich wiederkehrende Unruhe auf. Denn wenn der Bikini oder der Badeanzug mahnend wie eine rote Flagge am Nordseestrand aus dem Kleiderschrank winkt, ist klar: Nun kommt bald alles gnadenlos ans Licht. Wer hat sich im Winter gehen lassen und die Zeit nicht genutzt, um sich strandtauglich zu diäten? Oder beim Trainieren im Studio geschludert und bekommt jetzt die Quittung in Form von Dellen und Speckröllchen?

Puh, zum Glück gibt es ja ausreichend Magazine, die noch ganz schnell allerlei hilfreiche Diät-Tipps am Start haben. Und für die hoffnungslosen Fälle gibt es als letzte Rettung «figurschmeichelnde Bademode» mit Wickeloptik und bunten Mustern, damit lässt sich Vieles ja ganz gut kaschieren. Halt! Stopp! Ironie aus!

Shaping Bikini und Bauch-weg-Badeanzüge. Ganz ehrlich, für mich kommen solcherlei Sachen direkt aus der Hölle. Denn ich frage mich ernsthaft, was ich unter «figurschmeichelnd» verstehen soll. Oder überhaupt unter einer Bikinifigur. Wo ist das definiert? Ich befrage Wikipedia dazu und bekomme folgende Antwort: Bikinifigur und Strandkörper sind Bezeichnungen für Schönheitsideale, die vorwiegend in Lifestyle- und Fitness-Magazinen, Frauenzeitschriften und Boulevardzeitungen in Artikeln über Fitnesstraining und Diäten zur Gewichtsreduktion verwendet werden.

Aha, jetzt kommen wir der Sache näher. Schönheitsideale! Ja wer entscheidet denn, was eine angemessene Figur ist? Unsere Gesellschaft mit ihrem absurden und patriarchalischen Blick auf Frauenkörper? Denn egal ob im Bikini oder im Kleid, Bewertungen wie «zu dick, zu dünn, zu kurvig, zu knochig» geben mir das Gefühl, dass Frau ja doch nicht gewinnen kann.

Da versuchen wir, selbstbewusst durchs Leben zu gehen. Doch unser Körperbild und die Maßstäbe der Gesellschaft holen uns immer wieder ein. Zwar hat sich in den letzten Jahren einiges getan im Bereich Body Positivity/Neutrality, aber der Weg ist noch lang. Regelmäßige Studien zeigen, dass die Mehrheit der Frauen unzufrieden mit ihrem Körper ist. Kein Wunder, dass so manche das eine oder andere vielversprechende Mittelchen probiert. Die Schönheitsindustrie dankt. Und ich habe dafür vollstes Verständnis, denn ja, ich gestehe: Auch ich falle regelmäßig der ein oder anderen Cellulitecreme anheim. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Ich bin es nicht.

Bis wir uns von diesen Vorstellungen komplett befreit haben, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Und mir wird dabei mal wieder bewusst, dass der Blick auf Männerkörper eben doch ein anderer ist. Zumindest sind mir bisher keine kaschierende Badeklamotten für Männer aufgefallen. Das zeigt, wie unterschiedlich hier bewertet wird. Nämlich entspannter. Getreu dem Spruch «Ein Mann ohne Bauch ist wie ein Himmel ohne Sterne» findet man an zahlreichen Gewässern in und um Berlin Herren, die Bauch und Brüste stolz vor sich hertragen.

Apropos Badebekleidung, da sind wir doch beim nächsten Thema, das in Berlin übrigens schon das ein oder andere Gemüt erhitzt hat: Oben-ohne-Baden für Frauen. Als die Berlinerin Lotte Mies in einem Hallenbad nur mit einer Badehose schwimmen gehen wollte, wurde ihr dies vom Personal untersagt. Ihre Beschwerde zeigte Erfolg: Ab diesem Jahr wird die Badeordnung geschlechtergerecht ausgelegt. Das heißt, alle Personen dürfen «oben ohne» baden. Das sorgte einerseits für Furore, brachte aber andererseits der Klägerin auch einige Hassbotschaften ein. Bereits 2021 wurde eine andere Frau wegen ihres nackten Oberkörpers von einem Wasserspielplatz verwiesen. Eine klare Diskriminierung befand das Landgericht und machte damit den Weg frei zu mehr «Brustgleichheit».

Aber natürlich heißt das auch «alles kann, nichts muss». Denn Sätze im Zusammenhang mit Aussehen oder Bekleidung, die mit «müssen» anfangen, mag ich ja gar nicht. Ziehen Sie an, was Ihnen gefällt, denn «Every body is a beach body». In diesem Sinne, einen wunderbaren Sommeranfang in der Garderobe Ihrer Wahl. ♦

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