Mensch. Gesellschaft. Meer.

Funkspruch von Planet Erde #3

Der flüssige Kern des Erdplaneten  

Gonso ist erschüttert. Und wütend. Nicht nur über den Zustand des Planeten, sondern auch über die geistigen Verirrungen der Erdbewohner, die zu Gewalt und Leid führen.

24. Februar 2023. Vor 18 Erden-Tagen ist hier ein großes Unglück passiert, das zu begreifen mich einige Zeit gekostet hat. Im Rahmen meiner Recherchen bin ich auf einen unerwarteten, schockierenden Befund gestoßen: Der Planet Erde ist so jung, dass er noch nicht fertig ausgehärtet ist. Sein Inneres ist anscheinend noch genauso flüssig wie bei seiner Geburt und hat eine Temperatur von 2/1004 Feuer-Einheiten (in menschlichen Maßeinheiten: 5000 Grad Celsius), ist also 350 Mal heißer als die Oberfläche. Doch auch diese ist ständig in Bewegung, wenn auch extrem langsam. Die oberste Schicht des blauen Balls ist in mehrere «Platten» zerbrochen, und diese reiben aneinander, verhaken und verkanten sich, bauen Spannungen auf und lösen sich dann mit einem plötzlichen Ruck, der ganze Planetenteile durchschüttelt. Dies nennen die Menschen Erdbeben, und je nach Heftigkeit der Erschütterung wird dadurch eine große Zerstörung angerichtet.

(Recherchieren: In welchen anderen Milchstraßen gibt es Planeten, die noch nicht gefestigt und ausgehärtet sind? Könnte die Menschenspezies auf einem ausgekühlten Planeten überhaupt überleben? Können wir ihnen einen von unseren Trabanten anbieten, um sie in Sicherheit zu bringen?)

Zum ersten Mal verspüre ich nicht nur Erstaunen, sondern auch Leid – und große Wut.

Am 6. Februar geschah es also, dass zwei Beben die beiden «Länder» Türkei und Syrien erschütterten, bei denen fast 50’000 Menschen starben und mehr als doppelt so viele verletzt wurden. Seither wurden mehr als 4000 Nachbeben registriert. Im Umkreis von 762F3997LT4 Steinkreisen (in menschlichen Maßeinheiten: 400 Kilometern) fielen tausende von Behausungen in sich zusammen, und die Menschen wurden unter den Trümmern verschüttet. Die Überlebenden haben alles verloren, was sie am Nötigsten brauchen: Wohnraum, Kleidung, Nahrung, ein Minimum an Infrastruktur. Und es sind nicht nur ein paar Dörfer, die sich in dieser Notsituation befinden, sondern fast zwei Millionen Menschen. Es ist eine unsägliche, unerträgliche Situation, in der ich meinen rein investigativen, wissenschaftlichen Blick kaum aufrechterhalten kann. Zum ersten Mal, seit ich hier bin, verspüre ich nicht nur Erstaunen, sondern auch Leid – und große Wut.

Wut, denn meine Nachforschungen haben ergeben, dass es sich beim betroffenen Planetenteil um ein Gebiet handelt, das schon lang mit großer Ungerechtigkeit traktiert wird. Zwischen den Gebieten, die heute «Türkei», «Syrien», «Iran» und «Irak» genannt werden, liegt eine Zone, die eigentlich Kurdistan heißt – und auf alten Landkarten auch so eingezeichnet ist. Den Menschen, die dort seit Jahrhunderten leben, wurde das Land, die Sprache und das Leben genommen, weil einige politische Anführer der Meinung waren, das kurdische «Volk» sei «anders» und das dürfe nicht sein. (Recherchieren: Durchschnittlicher Fähigkeitsgrad des Menschen, Unterschiede als natürlich und wünschenswert zu erkennen? Laut meinen bisherigen Erkenntnissen unterschreitet dieser die Minimalwerte unserer Skala um ein Vielfaches.)

Als Resultat dieses geistigen Mangels werden die Einwohnerinnen und Einwohner von Kurdistan seit Generationen brutal bekämpft. Die oben erwähnten «Staaten» bombardieren das Gebiet, das zu ihrem eigenen Territorium gehört. Zu den Begriffen «Grenzen» und «Territorium» siehe auch Funkspruch vom 31. Dezember 2022 – wobei ich die zu Grunde liegenden Konzepte noch immer nicht ganz verstehe.

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Es macht – zumindest von von außen betrachtet – keinerlei Sinn, dass die Erdbewohner sich voneinander abgrenzen und gegeneinander kämpfen, weil sie winzige, für mein Auge kaum erkennbare Unterschiede für inkompatibel halten. Zum Beispiel leichte Unterschiede in Tönung und Form von Haut, Haaren oder Augen. Oder das Verwenden verschiedener Laute, um sich zu verständigen. Und das, obwohl alle durchs gleiche Organ (Stimmband genannt) erzeugt werden und sich in der selben Frequenz bewegen. Denn die Sinnesorgane des Menschen sind so eingeschränkt, dass sowohl visuell als auch auditiv nur ein sehr schmales Spektrum anwendbar ist.

In diesem Fall scheint die gegenseitige Zerfleischung jedoch ein unermessliches Niveau von Absurdität erreicht zu haben: Die Anführer des Planetenteils «Türkei» bombardieren jetzt, in dieser kritischen Situation, die kurdischen Gebiete weiter. Das heisst: Wo sowieso schon ganze Quartiere durch das Erdbeben zerstört wurden, fallen zusätzlich noch Sprengkörper vom Himmel. Man muss sich das einmal vorstellen: In Syrien gibt es Kinder, die zwölf Jahre alt sind, die ihr ganzes Leben lang keine andere Realität als den Krieg gekannt haben. In anderen Regionen der Erde schließen Kinder in diesem Alter die erste Runde ihrer Ausbildung ab.

Dazu kommt, dass Experten seit Jahren davor gewarnt hatten, dass ein solches Erdbeben eintreffen könnte. In einem Schriftstück heißt es:

Der türkischen Regierung wurde eklatantes Staatsversagen vorgeworfen. Kritisiert wurde, dass sie die Warnungen von Forschern jahrelang ignoriert habe, keine Investitionen in den Erdbeben- und Katastrophenschutz tätigte, die Erdbebensteuer veruntreute, illegale Bauten nachträglich genehmigte und somit Baumängel in der Erdbebenregion in Kauf nahm und außerdem aus Profitgier und Korruption Vorschriften zur Gebäudesicherheit aushebelte.

(Recherchieren: Steuer, Profitgier, Korruption.)

Aufgezeichnet von Nicole Maron

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