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Meer

Die Plastikfischer

Es begann mit einem Urlaub – und endete in der Erfindung einer schwimmenden Barriere, die Plastikabfälle in Flüssen abfängt, bevor sie ins Meer münden.

Foto: zvg

Die Idee, die Moritz Schulz in einem Asienurlaub 2018 hatte, ist wegweisend. Auch wenn er sich bewusst ist, dass es Schritt für Schritt umgesetzt werden muss. «Das Projekt ist zunächst nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es hat aber Potenzial.» In Vietnam konnten Schulz und seine Freunde Karsten Hirsch und Georg Baunach dabei zuschauen, wie tonnenweise Plastikmüll die Flüsse des Mekong-Flussdeltas hinabtrieb. Sie begannen über Plastikverschmutzung zu recherchieren und erschraken, als sie herausfanden, dass jährlich acht bis zwölf Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane gelangen, der Großteil davon über Flüsse. Dabei befinden sich acht der weltweit am stärksten verschmutzten Flüsse in Asien. Die drei jungen Männer verstanden schnell, dass Maßnahmen, die im Meer ansetzen, nicht sehr effizient sind – angesichts der großen Müllmengen, die durch die Flüsse strömen.

So traf Schulz, der an der Bergischen Universität Wuppertal Industrie-Design studiert, eine mutige Entscheidung: Zusammen mit seinen Freunden reiste der 31-Jährige 2019 nach Indonesien und entwickelte dort den «Trashboom», einen schwimmenden Zaun, der aus robusten PVC-Rohren und Netzen in verzinkten Stahlrahmen besteht. Durch die Strömung treibt der Müll automatisch in die Netze, die ihn auffangen. Als Erstes kam der Trashboom auf dem Citarum-Fluss in Indonesien zum Einsatz, wo die drei Männer beobachtet hatten, wie das Militär vergeblich versuchte, Müll einzusammeln. Der größte und längste Fluss der Provinz Jawa Barat auf Java gilt als schmutzigster der Welt. Unter anderem weil sich täglich giftige Abfälle aus Textilfabriken sowie Haushaltsabfälle der Anwohner in ihm ablagern.

Wir arbeiteten nur mit Materialien, die vor Ort verfügbar waren.

«Es war ein bisschen positiver Wahnsinn, der uns angetrieben hat», sagt Schulz im Rückblick. Denn die drei stürzten sich voll in ihr Projekt. Im Frühjahr 2019 hatten sie das Unternehmen Plastic Fischer GmbH gegründet. Durch bestehende Kontakte waren sie in Indonesien gut vernetzt – trotzdem war die Zeit alles andere als ein Wellness-Retreat.  Insgesamt verbrachten sie acht Monate in Indonesien und auf Bali. «Wir hatten keine Wochenenden, arbeiteten von morgens bis in die Nacht hinein. Damals wussten wir natürlich nicht, was aus der ganzen Sache wird. Es war purer Aktivismus, wir wollten etwas für die Umwelt tun.» Dass Plastic Fischer und der Trashboom so erfolgreich werden würden, damit hatten die drei Freunde nicht gerechnet. Auch deshalb, weil keiner von ihnen Vorkenntnisse in Sachen Plastikmüll oder Wassertechnik hatte.

Für Schulz, Hirsch und Baunach ist es wichtig, dass ihr Projekt nicht nur gut klang, sondern auch tatsächlich etwas bewirkte. «Natürlich machen wir auch nichts anderes als Symptombekämpfung. Aber es geht auch darum, Menschen zu sensibilisieren. Wir wollen verständlich machen, dass es Sinn macht, Plastikmüll in Flüssen zu sammeln und damit Ozeanplastik zu vermeiden. Das ist auch deutlich kostengünstiger, als auf dem Meer zu sammeln.»

Kostengünstig ist auch die Herstellung des Trashbooms. «Wir waren in Indonesien darauf angewiesen, mit Materialien zu arbeiten, die vor Ort verfügbar sind. Außerdem wollten wir ganz bewusst nichts einfliegen lassen.» So werden die Trashbooms aus PVC-Rohren und Maschendrahtzaun hergestellt. Die Kosten betragen rund 2000 Euro, doch die Investition lohnt sich. Je nach Fluss hält ein Trashboom bis zu 500 Kilogramm Müll auf – pro Tag. Zwei bis drei Prozent können recycelt werden, der Rest wird in gefilterten Anlagen thermisch verwertet. Das bedeutet, dass das Plastik mit Energierückgewinnung in gefilterten Anlagen verbrannt wird.

«Leider werden nicht-recycelbare Materialien zurzeit auf diese Weise verwertet», sagt Schulz. «Das machen auch Abfallbetriebe in Deutschland so, denn im Moment gibt es keine andere verlässliche Lösung. Auf Mülldeponien möchten wir unseren Müll nicht ablagern, da diese zumeist hemmungslos überfüllt sind und teilweise offen niedergebrannt werden, um wieder Platz zu schaffen.» Doch dies führt ebenfalls zu Umweltbelastung, etwa durch die Luftverschmutzung bei der Verbrennung.

Bereits 380 Tonnen Müll gesammelt

Finanziert wird Plastic Fischer durch Dritte, die die Operationen entweder direkt unterstützen oder das Unternehmen für das Sammeln und Verarbeiten pro Tonne Plastik bezahlen und dafür Zertifikate erhalten. Außerdem entstehen auch immer wieder Kooperationen mit Firmen, die plastikneutral arbeiten wollen. Das Zusammenbringen von Unternehmen, die an neuen Lösungen und Entwicklungen in Sachen Umweltschutz interessiert sind, ist ein zentrales Anliegen von Schulz.

Plastic Fischer hat seinen Sitz in Deutschland, aber nur zwei Mitarbeitende sind in Europa tätig. Alle anderen sind in Indien und Indonesien beschäftigt. Dort hat das Unternehmen bereits 63 Arbeitsplätze geschaffen. An sechs Standorten wurden bis heute insgesamt 23 Systeme errichtet und damit über 380 Tonnen Müll gesammelt – Tendenz steigend. Entscheidend für den Erfolg von Plastic Fischer sind drei Faktoren: Die Nutzung lokaler Materialien, eine einfache Technik und lokale Mitarbeitende, die die Trashbooms konstruieren und betreiben.

Das Projekt wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem mit dem deutschen James Dyson Award 2022. Und kürzlich wurde der Trashboom bei der Ausstellung Prototypes for Humanity – Akademische Innovationen, die die Kraft haben, die Welt zu verbessern in Dubai vorgestellt – als eins von 100 auserwählten Projekten. «Solche Auszeichnungen sind auch eine tolle Gelegenheit, ähnlich denkende Menschen zu treffen», sagt Schulz. «Menschen, die Lust haben, die Welt zu verändern.»

Ziel wäre, dass gar kein Müll mehr in die Umwelt gelangt.

Dr. Mark Lenz, Meeresexperte am Geomar Helmholz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, hält den Ansatz des Trashboom für sinnvoll. Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass das eigentliche Ziel darin bestehen sollte, dass gar kein Müll mehr in die Umwelt gelangt. Dann müssten wir auch keine Techniken entwickeln, um ihn mühsam wieder einzusammeln. «Dafür müssten geschlossene Müllentsorgungsysteme geschaffen werden, und zwar an Land. Das wäre – bei gleichzeitiger Reduktion der Verwendung von Einwegplastikverpackungen – eine wirklich nachhaltige Lösung. Aber: Das Abfischen von Müll in Flüssen ist sinnvoller als das Fischen nach Plastik im offenen Ozean. Denn in den Flüssen ist das Plastik stärker konzentriert und weniger fragmentiert. Dadurch lässt es sich leichter einsammeln, und das Verhältnis von Fang (also Plastik) zu Beifang (alles was im Fluss so lebt) ist günstiger als im offenen Meer oder in Buchten. Daher könnte man diesen Ansatz eine Weile lang als Akutmaßnahme verfolgen – so lange eben, bis dann endlich die Müllsysteme geschlossen sind und kein Müll mehr in die Umwelt gelangt.» ♦

www.plasticfischer.com

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