Und wenn man es doch flicken kann? Das Abendkleid, den Toaster oder die Waschmaschine? Es geht fast immer. Die Frage ist nur, wie teuer es ist und ob es noch jemanden gibt, der das kaputte Objekt repariert. Erich Baumann aus der Schweiz flickt seit über zwanzig Jahren Regenschirme.

Sieben Jahre lebte ich in Buenos Aires, Argentinien. Nach sieben Jahren Südamerika flickt man die Dinge, die einen umgeben, die man benutzt, alle. Oder: fast alle. Das Motto «Reparieren statt wegschmeißen, behalten statt ersetzen» wird zur alltäglichen Realität. Gehen Schuhe kaputt, bringt man sie zur Schusterin. Zerreißen Kleider, zum Näher. Springt der Toaster oder Wasserkocher nicht mehr an, bringt man ihn in den kleinen Quartierladen um die Ecke, wo ein Tüftler zwischen unzähligen elektrischen Geräten sitzt, lötet und schraubt. Möbel, Taschen, Instrumente, Messer, Handys, Computer, alles kann man zu irgendjemandem in die Reparatur bringen.
Es ist fantastisch. Denn es bringt so viele Vorteile: Man kann die Sachen, die man mag, lange brauchen. Man spart Geld, weil man keine neuen Schuhe kaufen muss. Und die Handtasche landet nicht im Abfall, sprich: Es entsteht weniger Müll – bei einem selbst und auf der Welt.
Ab in die Tonne
Dieser Flickmodus Operandi nahm in meinem Leben ein jähes Ende, als ich zurück in die Schweiz kehrte. Ich wollte etwa Schuhe und eine Hose wieder auf Vordermann bringen. Alleine schon die Suche nach der Person, die das flickt, verlief nicht rasch. Denn: Reparaturgeschäfte und Nähstuben gibt es nicht mehr an jeder Ecke. Und als ich schließlich die Läden fand, war der Kostenvoranschlag so hoch, dass es klar war: Ein neuer Schuh macht mehr Sinn. Zumindest, wenn es ums Portemonnaie geht. Flicken ist nämlich nichts für den kleinen Geldbeutel. Diese Tatsache stimmte mich nachdenklich, verärgerte mich sogar. Als ich die kaputten Schuhe in den Abfallsack warf, dachte ich: Wie absurd!
In den folgenden Jahren lernte ich, dass besonders die Schweizer und Schweizerinnen eine Wegwerfgesellschaft sind. In anderen Ländern Europas, etwa in Spanien, reparieren die Menschen nach wie vor öfters, so wie wir wohl vor dreißig Jahren noch. Zumal die Preise für Reparaturen in Spanien im Vergleich niedriger sind.
Patient: Regenschirm
Zwei Hürden existieren also, um seine Kleider und Gegenstände wiederzuverwerten: Zum Einen fehlen die Reparateure, zum Anderen sind Flickarbeiten zu kostspielig. Trotz allem wächst das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Bevölkerung kontinuierlich. Umso größer war meine Freude, als ich vom so genannten Regenschirm-Doktor erfuhr. Ein Reperaturangebot, das ich bislang nur aus Buenos Aires kannte.
«Rund 1100 Stück haben wir dieses Jahr repariert», sagt Erich Baumann. Er ist der einzige Schirmflicker der Schweiz, es wundert also nicht, dass ihm Regenschirme von überall her zugesandt oder gebracht werden, manchmal auch aus dem Ausland. Aber: Wie wird man Schirmflicker? Es sei ihm zugefallen. Er habe über zwanzig Jahre in einer Stiftung gearbeitet, wo Menschen mit einer Beeinträchtigung Schirme flickten. Das war 1999. Baumann: «Da zog es mir den Ärmel rein.»
Das ehemalige Schulzimmer ist vollgestopft von Schirmen in allen Farben. «Ich brauche Ersatzteilspender», erklärt der 55-Jährige, der sich seit 2008 in einem alten Schulhaus aus dem Jahr 1876 in Münchringen bei Bern eingemietet hat. Viele von den kaputten Schirmen in den Regalen, die er als Ersatzteilspender benutzt, bekommt er vom Fundbüro in Bern oder von Brockenhäusern, weil sie die verbogenen oder zerfetzten Regenschirme nicht mehr verkaufen können.
Kein Reparaturobjekt
Baumann sagt von sich, er sei Perfektionist. Ein Glück, für alle, die ihren Regenschirm bei ihm flicken lassen wollen. Denn der geduldige Tüftler, der – wenn er nicht flickt – zudem als Busfahrer für die städtischen Verkehrsbetriebe Bernmobil arbeitet, hat immer ein Ziel vor Augen: Seinen Patienten, den Schirm, zu flicken. Und er sucht so lange nach den richtigen Teilen dazu, bis es klappt. «Nur fünf bis zehn Regeschirme pro Jahr kann ich nicht reparieren, weil ich die Teile nicht finden oder adaptieren kann.»
Ist der Regenschirm überhaupt als Reparaturobjekt vorgesehen? «Überhaupt nicht», sagt Baumann. Das meiste kommt aus China, vieles aus Taiwan. Konzept: günstig, im besten Fall stabil. Würde man es als Reparaturobjekt haben wollen, müsste man Modelle produzieren, die in der zweiten oder dritten Serie gleich hergestellt würden, mit den gleichen Maßen. «Es gibt aber keine Reglementierung.»
Derweil schraubt, biegt und schneidet er die Ersatzteile selbst, wenn nötig. Und ja: Kunden glücklich zu machen, weil er Regenschirme flickt, die sonst niemand mehr flicken würde, das erfüllt ihn. Aber auch der Aspekt des Recyclings bei seiner Arbeit, das Ressourcensparen ist für ihn sehr wichtig. «Ich konnte mit über 1000 reparierten Schirmen doch so einiges an Material retten.» Er mache also etwas Sinnvolles. Und wenn man es auf all die Jahre hochrechnet, dann «sind das in etwa 20´000 Regenschirme». ♦
Repair Cafés
Wie bereits im Teil 4 unserer Serie erwähnt, sind Repair Cafés eine zeitgemäße Antwort auf unsere Wegwerfgesellschaft, oder um Geld und Rohstoffe zu sparen. Die Idee kommt aus den Niederlanden. Mittlerweile findet man in vielen Ländern Europas diese Veranstaltungen, wo unter anderem Tüftler, ehemalige Elektriker, Mechaniker und andere Fachleute, darunter viele Pensionierte, alles Mögliche flicken. Man geht mit der kaputten Kaffeemaschine hin und in der Regel bringen die Repair Café-Leute für wenig Geld die Maschine wieder in Stand.
Finden Sie ein Repair Café in Ihrer Nähe:
Alle Teile der Serie «Recyclieren oder Resignieren» finden Sie hier.
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