Mensch. Gesellschaft. Meer.

Holzhandel in Peru – Teil 1

Greenwashing von Tropenholz

Das Nachhaltigkeitssiegel FSC findet sich auf hunderten von Produkten, die weltweit täglich gekauft werden, etwa auf Kopierpapier, Büromaterial oder Möbeln. Doch das Zertifizierungssystem hat sich als mangelhaft erwiesen und ermöglicht es Unternehmen sogar, die illegale Herkunft von Holz zu verschleiern.

Illustration: Derly Arias Loayza

Gerlin Ramírez Santana spricht mit derselben Bedächtigkeit, wie in der Gemeinde Comandancia alles vor sich geht. 37 indigene Familien der Yagua leben hier mitten im peruanischen Amazonasgebiet, in nächster Nähe des Amazonasflusses. 300 Kilometer von der Regionalhauptstadt Iquitos entfernt, gibt es weder einen Anschluss an die Trinkwasserversorgung noch ans Telefonnetz. Ramírez, der zurzeit das Amt des Gemeindepräsidenten innehat, empfängt uns in einem Sport-Shirt und mit Flip-Flops auf dem Dorfplatz, um den herum sich die Häuser der Dorfbewohner gruppieren: Holzhütten mit Dächern aus Palmwedeln, vor denen viele Familien Hängematten aufgespannt haben, um während der heissen Mittagsstunden auszuruhen.

Ausser dem Summen von Insekten und den langgezogenen Melodien der Urwald-Vogelwelt hört man hier nicht viel. Doch zwischen Januar und Juni wird die Ruhe in Comandancia empfindlich gestört. Dann nimmt der Bootsverkehr auf dem Fluss drastisch zu, und Ramírez und seine Nachbarn müssen zusehen, wie hunderte von Baumstämmen abtransportiert werden – Jahr für Jahr. Sie werden tief aus dem Urwald geholt, um die Nachfrage nach Tropenholz in den Grossstädten der Welt zu decken. Den endgültigen Bestimmungsort des Holzes kennen die Gemeindebewohner nicht. «Wir wissen nur, dass die erste Station der Hafen von Iquitos ist», sagt Ramírez.

Genauso unbekannt wie das Schicksal der Baumstämme ist den Einwohnerinnen und Einwohnern der Urwaldgemeinde das Label FSC. Die Organisation «Forest Stewardship Council» (FSC) mit Sitz in Bonn fördert eine verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung, den Schutz der Biodiversität sowie den Schutz des Lebens der Menschen vor Ort, und geht gegen illegale Abholzung vor. Dazu stellt sie Wald- und Produktzertifizierungen für Holzunternehmen aus, die einen entsprechenden Kriterienkatalog erfüllen. Doch der FSC entpuppt sich immer wieder als illustrer Akteur, der genauso in den illegalen Holzhandel verwickelt ist wie einige der Unternehmen, die er zertifiziert. Zum Beispiel der peruanische Konzern La Oroza, der über Konzessionen in der Nähe der indigenen Gemeinde Comandancia verfügt, in der wir uns mit Gerlin Ramírez getroffen haben. Seit der Beschlagnahmung einer grossen Menge von illegalem Holz im Jahr 2015 wird gegen das Unternehmen ermittelt. Ungeachtet dessen verlängerte der FSC das Siegel für La Oroza bis 2026.

Die Macht der Holzlobby 

Das FSC-Logo – ein grüner Baum – ziert die Verpackungen von unzähligen Produkten in den Regalen unserer Supermärkte, von Kopierpapier über Büromaterial bis hin zu Tetrapackungen. Und das Geschäft mit den Zertifizierungen zahlt sich aus. Laut seiner Bilanz verzeichneten der FSC und seine Tochtergesellschaften im Jahr 2020 einen Umsatz von 44 Millionen Dollar, Tendenz steigend. Mehr als 80 Prozent der Einnahmen stammen aus den jährlichen Gebühren, die die zertifizierten Unternehmen für das Siegel zahlen. Damit hat sich der FSC von seinem Büro in Bonn aus zu einem wichtigen Akteur im globalen Holzhandel entwickelt.

Eins der zentralen Anliegen des FSC ist, gegen illegale Abholzung vorzugehen. Doch Schlupflöcher im Zertifizierungssystem ermöglichen es Unternehmen, die illegale Herkunft ihres Holzes zu verschleiern. Dies ist schon länger bekannt und wird von Umweltorganisationen immer wieder kritisiert. Im Oktober 2021 veröffentlichten 34 europäische NGOs einen offenen Brief an die Leitung des FSC, in dem sie ihre Besorgnis über die Integrität des Gütesiegels zum Ausdruck brachten: «Leider unterscheidet sich der FSC von heute erheblich vom FSC der frühen Jahre. Wir haben über drei Jahrzehnte hinweg Berichte verfasst, die zeigen, wie die FSC-Systeme in jeder grösseren Waldregion der Erde und auf jeder Stufe der Lieferkette versagt haben. Wir haben von Aktivisten, Whistleblowern, Regierungsbeamten und Insidern der Holzindustrie gehört, wie der FSC es versäumt, Korruption, Abholzung in Schutzgebieten, grossflächige Abholzung, Missachtung der Rechte indigener Völker und Menschenrechtsverletzungen zu erkennen und zu bekämpfen. Wenn wir auf wichtigen Märkten wie Europa und den USA verdächtiges Holz zum Verkauf finden, ist es zunehmend FSC-zertifiziert.»

Die verschiedenen Etiketten führen Verbraucher in die Irre.

Unter anderem wird dem FSC vorgeworfen, sich dem Druck der Holzlobby zu beugen und Siegel zu vergeben, auch wenn die legale Herkunft des Holzes nicht garantiert werden kann. Laut der NGO-Allianz bestehen ernsthafte Interessenskonflikte, die die Integrität des FSC-Prozesses untergraben. «Die jüngsten Skandale haben gezeigt, dass teilweise eine Komplizenschaft zwischen Unternehmen und Prüfern besteht.» Ausserdem werde systematisch Greenwashing betrieben: Die verschiedenen Etiketten, die nicht auf den ersten Blick zu unterscheiden sind, führen Verbraucher in die Irre. Das Gütesiegel «FSC 100%» bestätigt, dass das gesamte Holz, das für die Herstellung eines Produkts verwendet wurde, aus FSC-zertifizierten Wäldern stammt. Die Etikette «FSC Mix» dagegen soll garantieren, dass das Material «aus verantwortungsvollen Quellen» stammt. Diese beinhalten auch Wälder, die nicht FSC-zertifiziert sind, aber nicht als «inakzeptable Quellen» gelten – was auch immer das bedeutet.

Auch die Migros setzt auf FSC

Tara Ganesh, Leiterin des Holzressorts bei der englischen NGO Earthsight – eine der Unterzeichnerorganisationen des Offenen Briefes – kritisiert diese Praxis mit deutlichen Worten: «Grüne Zertifizierungen haben eine grosse Bedeutung, gerade in Industrieländern. Für Behörden und Endverbraucher gelten diese Siegel als Garantie dafür, dass alles legal abläuft. Doch damit werden oft falsche Versprechungen gemacht.» Tatsächlich verlassen sich auch Grossverteiler und Supermärkte auf das FSC-Siegel. Die Schweizer Detailhandelskette Migros erklärte auf Anfrage von Tentakel: «Alle Kopierpapiere der Migros, mit Ausnahme von M-Budget, sind entweder FSC-zertifiziert oder aus Recycling-Material. Wir setzen auf das Label FSC, welches sicherstellt, dass in den zertifizierten Produkten nur kontrollierte Ware zum Einsatz kommt. Auch beim Label FSC Mix müssen die Unternehmen nachweisen können, dass keine illegalen Holzquellen Eingang in die Lieferkette erhalten. FSC gilt nach wie vor als das glaubwürdigste und strengste Label, um verantwortungsvolle Waldwirtschaft sicherzustellen.»

Quelle: www.migros.ch

Für Zwischenhändler, Verteiler und Endverbraucher ist es praktisch unmöglich, die Nachhaltigkeit der ganzen Lieferketten zu überprüfen, die teilweise sehr lang sind. Sich auf Label wie FSC verlassen zu können, wäre deshalb zentral. Doch die Überprüfungen für die FSC-Zertifizierungen erfolgen in der Regel über Subunternehmen. In einigen Fällen finden physische und detaillierte Kontrollen statt, in anderen werden jedoch nur Unterlagen eingesehen. So haben sich in den letzten Jahren die Fälle gehäuft, in denen gegen FSC-zertifizierte Unternehmen wegen illegalem Holzhandel juristisch vorgegangen wurde. Im April 2021 wurden der deutsche Unternehmer Stephan Bührich, Geschäftsführer des Holzhandelsunternehmens WOB Timber GmbH, und mehrere seiner Mitarbeiter wegen illegaler Holzimporte aus den Wäldern Myanmars verurteilt.

Bührich wurde zu einer bedingten Haftstrafe von 21 Monaten und einer Strafzahlung von 200’000 Euro verurteilt. Dennoch wurde die FSC-Zertifizierung des Unternehmens im Mai 2022 um fünf Jahre verlängert. Noch während das Verfahren lief, importierte WOB Timber eine Ladung Holz aus dem Amazonasgebiet, wie aus den entsprechenden Zollunterlagen hervorgeht. Dabei handelte es sich um Schnittholz, das von der brasilianischen Firma «Mil Madeiras Preciosas Ltda» gekauft wurde – einem Unternehmen, das zur Schweizer Gruppe «Precious Woods» gehört und ebenfalls FSC-zertifiziert ist. Auf Nachfrage des peruanischen Mediums Ojo Público, ob dieses Holz zu hundert Prozent aus nachhaltiger Forstwirtschaft stamme, antwortete der FSC, dass ihm «keine spezifischen Informationen zu diesem Fall» vorlägen. Doch wenn FSC-Unternehmen Holz einkaufen, über deren Herkunft sie nicht Bescheid wissen, kann die Nachhaltigkeit der Lieferkette nicht garantiert werden – und genau dies wäre ja der Sinn der Produktketten-Zertifizierungen. Auf Grund dieser und anderer Unstimmigkeiten sind in den letzten Jahren diverse Organisationen aus dem FSC ausgetreten, unter anderem Greenpeace.

Holzunternehmen nutzen das Siegel als PR-Strategie, auch wenn nur ein Teil ihrer Produktion zertifiziert ist.

Genauso vage wie die Angaben zu WOB Timber sind auch die Informationen zum Fall von La Oroza im peruanischen Iquitos. In diesem Fall weist das peruanische FSC-Büro darauf hin, dass die Zertifizierungen nicht für ganze Unternehmen gelten, sondern nur für bestimmte Waldgebiete, die von diesen Unternehmen bewirtschaftet werden. Doch dies stellt ein grosses Problem dar: Wie sich in verschiedenen Fällen gezeigt hat, lassen viele Holzunternehmen auf diese Weise einen kleinen Teil ihrer Produktionsgebiete zertifizieren und nutzen das so erworbene FSC-Siegel als PR-Strategie, um die illegale Herkunft ihres restlichen Holzes zu verschleiern.

Auf diese Problematik angesprochen, deklariert die Migros: «Es ist uns nicht bekannt, dass einer von unseren Lieferanten mit Vorwürfen wegen der Verwicklung in illegalen Holzhandel in Verbindung gebracht wird. FSC kennt Beschwerdeverfahren und verfügt über klare und erprobte Verfahrens- und Sanktionsprozesse, um fehlbare Unternehmen zu untersuchen und im Bedarfsfall zu sanktionieren.» Dem widerspricht jedoch die erwähnte NGO-Allianz explizit. «In den Fällen, in denen sich der FSC von Unternehmen distanziert hat, war enormer öffentlicher Druck nötig», sagt Julia Urrunaga von der englischen NGO Environmental Investigation Agency EIA, einer der Mitunterzeichnerinnen des Offenen Briefes. «In der Regel werden Unternehmen wegen Verstössen lediglich vorübergehend suspendiert, und die Suspendierung wird aufgehoben, sobald eine Organisation versichert, ausreichende Massnahmen getroffen zu haben.» Miguel Ángel Soto, Holzspezialist bei Greenpeace Peru betont: «Das Problem ist, dass bei FSC die zertifizierten Unternehmen mehr Glaubwürdigkeit geniessen als die Beschwerdeführer. Es ist offensichtlich, dass die Organisation von den Unternehmen stark beeinflusst wird.» ♦

Teil 2: «Der lange Arm der Holzlobby»

FSC-Watch: Kritik von innen  

Unter dem Namen «FSC-Watch» hat sich eine Gruppe von Personen formiert, die den Zertifizierer von innen heraus kritisieren. Darunter befinden sich namhafte ehemalige Unterstützer und Mitglieder des FSC, unter anderem das FSC-Gründungsmitglied Simon Counsell sowie Chris Lang, der FSC-Zertifizierungen auf verschiedenen Kontinenten überprüft und dabei in jedem einzelnen Fall ernsthafte Probleme festgestellt hat. «Die Macht im FSC wird zunehmend von kommerziellen Interessen vereinnahmt», heisst es auf FSC Watch. «Es gibt keine ehrliche Bewertung dessen, was im FSC funktioniert und was nicht, und kein offenes Forum für die Erörterung dieser Fragen.»

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