In der Schweiz, Deutschland und Österreich ist die Schokolade deutlich teurer geworden – ein weiterer Preisanstieg steht noch bevor. Doch wie viele Franken und Euros kommen von diesem Aufschlag tatsächlich bei den Kakaobauernfamilien an? Hinter der Preisfrage stecken Kalkül, Macht und deren Missbrauch.

Kakao-Kartell kämpft gegen das Schokoladen-Kartell – ums Überleben: Was wie lokale Schlagzeilen über Drogenkartelle in Mexiko oder Drohgebärden des Schokoladen-Kartells im Film «Wonka» klingt, findet hinter den Schokolade-Regalen unserer Supermärkte statt. Nun ja, vielleicht nicht wortwörtlich hinter den Verkaufsregalen – aber sehr wohl hinter den Kulissen all jener Akteure, die etwas mit der Schokolade oder dem darin enthaltenen Kakao zu tun haben, bevor die fertige Schokolade im Regal steht.
Vorab ein Wort zum Begriff Kartell: Ein Kartell ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, Staaten oder anderen Gruppierungen, die Absprachen treffen, um sich Wettbewerb-Vorteile und Marktkontrolle zu verschaffen. Kartelle zwischen Unternehmen sind in den meisten Ländern illegal und werden strafrechtlich verfolgt. Das Kartellrecht also soll den freien Wettbewerb gewährleisten und die Konsumenten und Konsumentinnen davor schützen, zu hohe Preise zu zahlen.
Scheinbar bedauernd teilt zurzeit ein Schokoladekonzern nach dem anderen mit, dass ein weiterer Preisaufschlag unumgänglich sei aufgrund der seit einem Jahr exorbitant hohen Kakaopreisen. Aber seien wir ehrlich: Klar, die Kakaopreise sind im Verlauf des letzten Jahres explodiert. Aber weil die Preise über Jahrzehnte so tief waren, dass die Kakaobauernfamilien mit dem Einkommen in Armut leben müssen, dürften wir doch annehmen, dass der Weltmarktpreis nun gerechter geworden ist. Die große Frage ist lediglich: Wer zahlt den aktuellen, höheren Preis? Und wer erhält das Geld? Spoiler: Wir wissen es nicht mit Sicherheit.
Der Kakaopreis
Kakao wird an der Börse gehandelt. Der Kakaopreis hat im Verlauf der letzten zwei Jahre eine dramatische Entwicklung durchgemacht: Der Preis für eine Tonne Kakao ist von etwa 2000 Euro Anfang 2023 auf über 11´000 Euro im April 2024 gestiegen, danach leicht gesunken und befindet sich aktuell wieder auf dem steilen Weg nach oben. Zu Redaktionsschluss wurde eine Tonne Kakao mit über 11´000 Dollar bewertet. Diese extreme Preisentwicklung wird auf Faktoren wie schlechte Ernten, klimatische Bedingungen, strukturelle Marktprobleme und Spekulationen zurückgeführt. (ahü)
Die Bildung von Preis, Kartell und Marktmacht geschieht in Abhängigkeit voneinander. Aber wie? Der globale Schokoladenmarkt wird von wenigen großen Konzernen dominiert, von Unternehmen wie Nestlé, Mars, Lindt, Ferrero, Hershey’s und Mondelēz. Sie haben damit eine entscheidende Marktmacht – ideale Voraussetzungen, um ein Kartell zu bilden. Ob mit oder ohne Kartellbildung: Diese Unternehmen können die Preise für Schokolade beeinflussen und ihre Margen optimieren, oft auf Kosten der Kakaobauernfamilien. Denn die Firmen kontrollieren unter anderem die Kakaoreserven, sie bekommen Kredite von den Banken und sie sichern ihre Risiken mit Hedge-Fonds ab. Währenddessen managen Kakaoanbauende die kranken Bäume, die zurzeit schlechten Ernten, die sinkende Biodiversität, die stetige Abholzung, die Folgen des Klimawandels, die missbräuchliche Kinderarbeit und die Desinformation auf dem Markt. Diese Konzentration der Marktmacht führt dazu, dass die Gewinne aus den Preisanstiegen nicht gerecht entlang der Lieferkette verteilt werden.
Wer «Wonka» gesehen hat, die dritte Verfilmung des Kinderbuchs «Charlie und die Schokoladenfabrik» von Roald Dahl, bekommt mit der Geschichte des Schokoladen-Kartells auf eine fantasievolle Weise eine leise Ahnung, mit welchen Bandagen im Schokolade- und Kakaosektor gekämpft werden. «Eine gute Schokolade sollte schlicht, einfach und unkompliziert sein», behauptet einer der drei Filmprotagonisten. Als Schokoladen-Kartell-Mitglied setzt er so ruckzuck den Schoggi-Standard und diskreditiert dadurch Willy Wonka. Denn dieser hat zum Ärger des Kartells eine außergewöhnliche Schokolade kreiert, die nach salzigem Karamell schmeckt, blumige Gewürzaromen entwickelt und nach kaiserlichen Kirschen riecht – und einen für zwanzig Minuten in der Luft schweben lässt. Wonkas Schokolade sei einfach nur schlecht und seltsam, resümiert ein weiteres neidisches Kartellmitglied. Kartelle treffen nämlich nicht nur Preisabsprachen, sondern definieren auch Qualitätskriterien.
Ein paar Rappen mehr für Milchschokolade?
Frei übersetzt in die reale Schokoladewelt, bezieht sich die schlichte und unkomplizierte Schokolade wohl auf die hiesige Milchschokolade. Deren Varianten schmecken sehr ähnlich, beinhalten zu über fünfzig Prozent Zucker und können massenhaft produziert werden. Denn bei dieser Rezeptur ist die Qualität der Kakaobohnen absolut vernachlässigbar. Für Qualität wird hier also nicht bezahlt.
Wer große Mengen Schokolade produziert und im Markt bestehen will, für den spielt jeder Rappen im Preis eine wichtige Rolle. Erhöhen sich zum Beispiel die Kosten für den Einkauf von Kakao oder Milchpulver, wie es aktuell der Fall ist, scheint es bestechend für Firmen, untereinander abzusprechen, ob und wieviel sie davon an die Konsumenten abschieben wollen.
So verhängte die EU-Kommission Mai 2024 Mondelēz – einem der größten Schokoladekonzerne der Welt mit dem Europäischen Sitz in der Schweiz – wegen Verletzung des Kartellrechts in 22 Fällen eine Strafe von über 300 Millionen Euro. Mondelēz war bereits 2013 Mitglied eines Schokoladen-Kartells und wurde zu einer Millionenbuße verdonnert, zusammen mit Nestlé, Ritter und Mars.
Verhindert Kartellrecht gerechtere Kakaopreise?
Bereichern sich Firmen unredlich auf Kosten der Konsumierenden, ist das unschön. Schön ist, dass uns das Kartellrecht davor zu schützen sucht. Sehr irritierend hingegen ist, dass dieses Recht keinerlei Schutz bietet für die Kakaobauernfamilien, die auf der anderen Seite der Produktionskette der Schokolade stehen. Im Gegenteil, das Kartellrecht wird seit Jahren als Vorwand genutzt, um zu vermeiden, dass die Schokoladefirmen sich auf die Bezahlung eines Kakaopreises einigen, von dem die Bauern und Bäuerinnen leben und ihre Familien ernähren können.
In vielen Anbauländern, insbesondere in Westafrika, ist der Kakaoanbau die Haupteinnahmequelle für Millionen von Familien. Trotz der hohen Nachfrage und der steigenden Preise für Endprodukte wie Schokolade kämpfen viele Kakaoanbauende gegen Armut und Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit. Untersuchungen zeigen, dass weniger als sieben Prozent des Verkaufspreises von Schokolade an die Kakaopflanzer und Kakaopflanzerinnen geht. Das reicht oft nicht aus, um die Produktionskosten zu decken und ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen.
Kurzum, die Kakaoanbauenden sind dreifach benachteiligt: Sie gehen bei Kartellstrafen leer aus, sie profitieren nicht oder nur spärlich von steigenden Verkaufspreisen und sie haben keinen gesetzlichen Schutz vor Ausbeutung durch Hungerlöhne.
Genug jetzt!
Jetzt reicht’s, haben sich die Regierungen von Ghana und der Elfenbeinküste, die größten Kakaoproduzenten der Welt, 2020 gesagt und selbst ein offizielles und legales Kartell gegründet. Dies, um die Preise für Kakao stabil zu halten und die Einkommen der Kakaofarmern zu verbessern. Dieses Kartell, bekannt als die «Westafrikanische Kakao-Initiative», fordert von allen Firmen, die in diesen beiden Ländern Kakao beziehen, zusätzlich zum Marktpreis eine Prämie von 400 Dollar pro Tonne Kakao zu zahlen.
Leider bleibt das gewünschte Ergebnis bislang aus: Ernteausfälle, hohe Produktionskosten, schwankende Weltmarktpreise, eine hohe Inflation kombiniert mit der Marktmacht der großen Kakaohändler und Schokoladefirmen erschweren es, höhere Preise durchzusetzen und die Vorteile der Prämie vollständig an die Bauernfamilien weiterzugeben.
Die drei Schoggi-Kartell-Mitglieder im «Wonka»-Film lagern die Hälfte ihrer Schokoladeproduktion in einem versteckten Tresor, um so Angebot und Nachfrage kontrollieren zu können. Das ist fast wie in der realen Schokoladewelt – nur nicht heimlich – in der die Unternehmen dank ihrer Marktmacht bei hohen Preisen aus der Reserve schöpfen und bei tiefen Preisen die Reserven füllen können.
Auf den Punkt gebracht
Fazit: Trotz der aktuell hohen Kakaopreise bleiben die meisten Kakaobauernfamilien in den größten Kakaoanbauländern arm. Die Kakaopreise sind hoch, weil die Ernteerträge tief sind. Die Ernten sind tief, weil die Bauernfamilien finanziell zu schwach sind, um die Kakaoplantagen gut in Stand zu halten, die Baumbestände deshalb veraltet und anfälliger auf Krankheiten sind und der Klimawandel dies befeuert.
Die Kakaobauernfamilien sind mitunter arm, weil sie zu wenig Markmacht besitzen, um Kakaopreise zu fordern, die über längere Zeit ein existenzsicherndes Einkommen generieren. Die größten Kakaoanbauländer wollen Abhilfe verschaffen, konstruieren eine Marktmacht, indem sie ein offizielles Kartell bilden. Die Marktmacht der Schokoladeindustrie ist jedoch mächtiger. Sie drücken weiterhin auf die Kakaopreise. Die Kakaopflanzer und -pflanzerinnen können nicht in den Anbau investieren. Die Ernteerträge sinken weiter, die Weltkakaopreise steigen ins Unendliche, die Schokoladeindustrie gibt die steigenden Kosten an die Konsumenten und Konsumentinnen weiter – und macht dabei Gewinne, wie wenn nichts geschehen wäre.
Lindt zum Beispiel weist für 2024 ein organisches Wachstum von 7.8 Prozent aus und rechnet mit einer jährlichen Betriebsgewinnmarge von 16 Prozent. Offenbar reagieren die Konsumenten doch nicht so empfindlich auf Preiserhöhungen bei Schokolade, wie häufig behauptet.
Macht es Mexiko vor?
Um noch einmal auf Mexiko zurückzukommen: Zugegeben, Mexiko hat ein großes Problem mit den Drogenkartellen. Geht es allerdings um Kakao und Schokolade, braucht es dort weder ein Kakao- noch ein Schokoladenkartell – dank einer bemerkenswerten Tradition: In Mexiko, in der Wiege des Kakaos, kultivieren Kleinbauernfamilien Edelkakaosorten mit Expertise. Lokale Chocolatiers verwandeln diese in exquisite Schokoladen, geprägt von Kultur und Terroir aus Mexiko. Dieses Modell fördert die Wertschätzung für Qualität und Herkunft und die Wertschöpfung bleibt im Land. Internationale Absprachen, Machtgefälle und Abhängigkeiten werden dadurch überflüssig. Mexiko, Inspiration für eine gerechtere Zukunft der Schokoladenindustrie weltweit? ♦
Mehr zu Mexiko und Kakao, seiner Blütezeit und dem transatlantischen Sklavenhandel: in der nächsten Kolumne ZartBitter.
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