Mensch. Gesellschaft. Meer.

Neue Verlage

Mehr Autorinnen in die Bücherregale!

Bücher von Männern gibt es schon genug, sagen die fünf Frauen vom Verlag Ecco aus Deutschland. Studien zeigten klar, dass nach wie vor ein Ungleichgewicht in der Repräsentation von Autorinnen und Autoren bestehe.

Kathrin Betka, Tabea Worthmann, Magdalena Mau, Heide Kloth und Anna-Marie Mamar. Foto: Bettina Theuerkauf

Du, ja du, wie viele von Frauen geschriebene Bücher hast du während deiner Kindheit und Jugend gelesen? Beim Nachdenken und Aufzählen ploppen wohl erst mal Namen wie Camus, Mann, Hesse, Voltaire, Keller, Goethe oder Orwell auf. Alles Männer. Vielleicht hattest du das Glück, einen Lehrer oder eine Lehrerin zu haben, die dir auch Bachmann oder Woolf vorlegte – vielleicht.

Wenn auch der Lehrer oder die Lehrerin gerne ausgeglichener Autoren und Autorinnen hätten auflegen wollen, einfach wäre es nicht gewesen. Schon gar nicht bei älterer Literatur, aber ebenso bei gegenwärtiger gibt es Hürden. Denn auf der Bestsellerliste stehen: mehrheitlich Männer. Neuerscheinungen sind: mehrheitlich von Männern. Bücher werden rezensiert: mehrheitlich von Männern. Die rezensierten Bücher sind: mehrheitlich von Männern geschrieben. Kurzum: Die Literatur ist männlich.

Wen interessiert, was die Frau denkt?

Und nicht nur, dass Autorinnen weniger Beachtung geschenkt wird, zum Teil wird ihnen sogar Verachtung entgegengebracht – weil sie Frauen sind. Der berühmte polnisch-deutscher Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki etwa trieb es zu Lebzeiten mit seinen Aussagen, die er ernst meinte, auf die Spitze. Als Beispiel, den Text einer Autorin kommentierte er einmal mit: «Wen interessiert, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen.» Mit dieser abschätzenden Haltung gegenüber Autorinnen war aber Reich-Ranicki nicht alleine.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist in den letzten Jahren neue Bewegung in die Literaturwelt gekommen. Vermehrt werden Verlage gegründet, von und für Frauen. Dazu zählt seit 2021 der Verlag Ecco aus Hamburg. Die fünf Frauen, die dahinterstehen, wollen Autorinnen die Aufmerksamkeit und den Raum geben, den sie verdienen, aber bislang nicht ausreichend bekommen haben. Denn: Bücher von Männern gebe es schon genug.

Kann man das in Zahlen fassen? Heide Kloth von Ecco: «In den letzten Jahren wurde die Zahl der Autoren und Autorinnen mehrfach untersucht. 2018 gab es zum Beispiel eine Studie der Universität Rostock, die unter dem Hashtag #Frauenzählen ein klares Ungleichgewicht in der Repräsentation von Autorinnen und Autoren festgestellt hat.» Der Anteil sei gewesen: 65 Prozent Männer zu 35 Prozent Frauen. Neue Zählungen würden eine leichte Verbesserung ergeben, «aber trotz allem sind wir noch weit von einem ausgewogenen Verhältnis entfernt».

«Von Frauen für alle»

Ecco-Mitgründerin Kathrin Betka: «Für Frauen ist es selbstverständlich, Bücher von Männern zu lesen. Andersrum kann man das leider nicht behaupten. Es ist allerhöchste Zeit, das zu ändern.» Und wenn Frauen überwiegend Bücher aus der männlichen Perspektive läsen, fehlten ihnen Vorbilder und damit auch das Selbstbewusstsein, überhaupt erst zu versuchen, selbst etwas zu veröffentlichen.

Auf die Frage, ob die fünf Verlegerinnen Bücher von und für Frauen publizieren, sagen sie, dass sie Bücher unter dem Motto «Was wir lesen wollen» machen: von Frauen für alle. ♦

 

Verlag Sechsundzwanzig

In der Schweiz hat die junge Frau Jil Erdmann 2021 einen Verlag gegründet, der ausschließlich Texte von Frauen publiziert. Die Zürcherin, ursprünglich aus Zug, entdeckte in einem Antiquariat das vergriffene Buch «Frauen erfahren Frauen» und entschied, es neu herauszugeben. Dafür gründete sie den Verlag Sechsundzwanzig, der so heißt, weil Erdmann vergangenes Jahr 26 Jahre alt war – und damit stets daran erinnert wird, in welchem Alter sie dieses Herzensprojekt ins Leben gerufen hat. Der Verlag ist für feministische Literatur und ein Netzwerk für schreibende Frauen, er fördert unveröffentlichte und veröffentlichte Autorinnen.

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