Mensch. Gesellschaft. Meer.

Reaktionen auf die Schweizer Klimaklage

«Man sollte ihnen die Rente streichen»

Unser Interview mit den KlimaSeniorinnen stieß in den sozialen Medien nicht auf offene Ohren. Es gingen viele beleidigende und abweisende Kommentare ein.

KlimaSeniorinnen: Rosmarie Wydler-Wälti (links) und Oda Müller. Foto: Nicole Maron

Vor zwei Wochen haben wir ein großes Interview mit den KlimaSeniorinnen veröffentlicht, die sich dafür einsetzen, dass die Schweiz mehr gegen die Klimakrise unternimmt. Co-Präsidentin Rosmarie Wydler-Wälti hat im Interview von Angriffen und beleidigenden E-Mails erzählt, die sie und ihre Mitstreiterinnen aufgrund ihres Engagements erhalten haben. Es scheint fast unglaublich, dass man am Anliegen der KlimaSeniorinnen etwas auszusetzen hat – doch leider bestätigt sich dies vollumfänglich, wenn man die Kommentare anschaut, die auf unserem Facebook-Kanal gepostet wurden.

«Man sollte ihnen die Renten streichen», «Ihr gehört in die Jacken, die hinten geschlossen werden», «Spinnen jetzt plötzlich die Alten? Denen ist es nur langweilig» oder «Alter schützt vor Dummheit nicht» sind nur einige Müsterchen. Wo außer Beleidigungen auch Argumente angefügt wurden, gingen diese meist vollkommen am Punkt der Klimaklage vorbei. Man könne wohl kaum von globaler Erwärmung sprechen, wenn man wie die KlimaSeniorinnen auf dem Foto in warme Winterjacken gepackt sei. Die Tatsache, dass die heutigen Rentnerinnen «bei besserer Gesundheit und in weitaus größerem Wohlstand älter wurden als alle Generationen zuvor», spreche ihnen das Recht ab, die Schweiz anzuklagen, weil ihre Klimapolitik das Recht auf Leben und Gesundheit verletze.

«Was können wir dafür, wenn die alten Schachteln bei Hitze schneller zusammenklappen?», kommentierte ein anderer Leser. «So sortiert die Natur Leben aus, das nicht überlebensfähig genug für gewisse Umweltbedingungen ist. Würde Natur auch die Schwachen besonders schützen, käme das einer evolutionsmäßigen Degeneration gleich. Hier ein Recht auf Schutz einzufordern, ist einfach nur totalitär.» Etwa im gleichen Tonfall begannen die verschiedenen Leserinnen und Leser, sich gegenseitig zu beleidigen, als «AfDler» und als «Nazi» genauso wie als «Linkes Joggeli».

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Erstaunlich und schockierend, finden wir. Doch dass die KlimaSeniorinnen mit ihrer Klage nicht daneben sind, stellt auch Helen Keller klar. Die Professorin für Völkerrecht und Verfassungsrichterin war von 2011 bis 2020 Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, an dem jetzt über die Klimaklage aus der Schweiz verhandelt wird. «Man muss den Menschen, die sich durch die Auswirkungen der Klimakatastrophe bedroht fühlen, zugestehen, dass sie den Rechtsweg beschreiten», sagt Keller in einem aktuellen Interview mit dem Beobachter. «Damit erinnern sie die Entscheidungstragenden daran, was deren Pflichten sind: die Menschenrechte zu garantieren und uns vor dem Klimawandel zu schützen.» Die Chancen der KlimaSeniorinnen stehen laut Keller sehr gut. Das Urteil aus Straßburg wird allerdings erst für Ende Jahr erwartet.

 

Erfolgreiche Klimaklagen aus aller Welt

Weltweit sind bereits mehr als 2000 Klimaklagen eingereicht worden, ein Viertel davon in den letzten drei Jahren. In mehreren Fällen erhielten die Klägerinnen und Kläger Recht:

• Die Umweltschutzorganisation Urgenda gewann 2015 gegen den niederländischen Staat. Das höchste niederländische Gericht befand, dass die Klimapolitik gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, und ordnete eine Reduktion der Emissionen an.

• Das Deutsche Bundesverfassungsgericht entschied 2021, dass das deutsche Klimaschutzgesetz nicht mit den Grundrechten vereinbar ist. Die Regierung musste ihre Klimapolitik drastisch verschärfen.

• In Australien verklagten Indigene vor dem Uno-Menschenrechtsausschuss gegen die australische Regierung, weil sie beim Klimawandel untätig blieb. Der Ausschuss befand, dass Australien die Indigenen nicht genügend schütze und sie entschädigen müsse.

Quelle: Der Beobachter

 

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