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Yoga ist ein Arschloch #2

Von Football-Gladiatoren und Blumenkindern

Dass Yoga Frauensache ist, ist in Europa ein weit verbreitetes Klischee. Doch in seinen Ursprüngen war es ausschließlich Männern vorbehalten. Und in Kalifornien ist Yoga für Männer genauso trendig wie Surfen oder Skateboarden. Schließlich hilft es dabei, in anderen Sportarten mehr Leistung zu erbringen.

Illustration: GDJ

Keith Mitchell nimmt man sofort ab, dass er einmal Football-Profi war. Der 1.90 Meter große, athletische Mann spielte für die New Orleans Saints. Und auf seinem Prachtkörper sitzt auch noch dieses unverschämt hübsche Gesicht. Doch was man ihm vielleicht nicht auf den ersten Blick ansieht: Er ist Yogalehrer. Keith Mitchell ist der lebende Beweis dafür, dass man nicht wie ein ausgemergeltes Blumenkind aussehen muss, um als Mann Yoga zu machen. Mitchell wäre nicht Football-Profi geworden, wenn er nicht ein verdammt harter Hund gewesen wäre.

Mitchell musste seine Karriere unfreiwillig beenden, nachdem er sich 2003 eine schwere Rückenprellung zugezogen hatte. Er war erst 29 Jahre alt, als er im Krankenhaus lag und wusste, dass er das, was er am liebsten machte, aufgeben musste. «Das war eine mentale Tragödie für mich», wird Mitchell zitiert. Der starke Football-Gladiator war es nicht gewöhnt, unbeholfen zu sein. Im Krankenhaus empfahl ihm eine Krankenschwester, sich mit bewusster Atmung auseinanderzusetzen. Er fing an, Yogabücher zu lesen. Und als er körperlich wieder dazu bereit war, begann er Asanas zu üben. Ziemlich schnell war ihm klar, dass er eine neue Passion gefunden hatte. Und so wurde er Yogalehrer.

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Mitchell ist nicht das einzige Beispiel, das zeigt, dass Yoga und starke Männer sich nicht ausschließen, auch wenn man sie in unserer Gesellschaft nicht auf den ersten Blick in Verbindung bringt. Dass Leistungssportler Yoga in ihren Trainingsalltag integrieren, ist spätestens seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 bekannt, als Yogalehrer Patrick Broome mit dem WM-Pokal in den Händen posierte. Der Münchener gehört seit 2006 zum Betreuerstab der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Als Yogalehrer. Oliver Bierhoff, auch ein begeisterter Yogatreibender, hatte den Kontakt zum damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann vermittelt. Unter Klinsmann war die erste Yogastunde Pflichtprogramm für die Spieler, danach kamen viele freiwillig. Auch fürs Fußball-Team von Manchester United ist Yoga ein ganz normaler Bestandteil des Trainingsprogramms.

Trotz all dieser Beispiele fristen Männer in den Yogastudios des Westens immer noch ein stiefmütterliches Dasein. In Deutschland üben schätzungsweise 2,6 Millionen Menschen Yoga, darunter gerade einmal 300‘000 Männer. Das Kuriose daran ist: In seinen Ursprüngen war Yoga ausschließlich Männern vorbehalten. Eine Frau als Yogalehrerin wäre damals in Indien schlicht undenkbar gewesen.

Ein Fußballer kann besser schießen, wenn er ein bewegliches Hüftgelenk hat.

Der Amerikaner Bryan Kest, der als Erfinder des Poweryoga gilt und für seinen sportlichen Yogastil bekannt ist, hat eine einfache Erklärung dafür, warum Männer in seinen Kursen heute immer noch die Ausnahme sind: «Weil dort am Ende kein Sieger gekürt wird.» Doch eigentlich sollten auch Männer endlich verstehen, dass Atem- und Dehnübungen nicht nur für Frauen erfunden wurden. Männer sind stärker als Frauen. Und stärkere Muskeln sind meistens auch steifere Muskeln. Dehnen hält die Muskulatur geschmeidig, was wiederum zu weniger Schmerzen führt. Und das bedeutet: Wir können durch Yoga den Sport, den wir lieben, länger ausüben, und mehr Leistung bringen. Wenn das mal kein Argument ist! Ein Fußballer beispielsweise kann besser schießen, wenn er ein bewegliches und zugleich kräftiges Hüftgelenk hat. Yoga kann sowohl den Muskeltonus erhöhen als auch die Dehnfähigkeit vergrößern. Darüber hinaus sorgt es für eine höhere Gelenkigkeit, weil die Muskulatur, die die Gelenke umgibt, beim Yoga von einer verbesserten Durchblutung profitiert.

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Dass viele Männer in Europa glauben, Yoga sei etwas für Mädchen, die glutenfreie Cupcakes essen und grüne Smoothies trinken, ist nicht verwunderlich. «Männer sehen Yoga ja so, wie es in den Medien dargestellt wird. Und da ist es eben immer ein Frauending», sagt Michael James Wong, der die Boys of Yoga aufgebaut hat – eine Gruppe yogatreibender Männer aus Großbritannien, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Vorbehalte von Männern gegen Yoga abzubauen. «Man muss sich nur die Zeitschriften, DVDs und Fitness-Studios anschauen – die sprechen doch alle hauptsächlich Frauen an.» Natürlich schaffe es eine Barriere für Männer, zum Yoga zu gehen, wenn die westliche Welt glaube, dass Yoga Frauensache sei. Genau dagegen will Wong mit seinem Projekt etwas tun. Er hat es nicht nur geschafft, Männer für Yoga zu begeistern, sondern auch, Yoga und Meditation in den öffentlichen Raum zu holen. An emblematischen Orten wie dem British Museum in London organisiert er mit dem Projekt Just Breathe Meditationen mit tausenden von Menschen.

«Der beste Weg, Männer von Yoga zu überzeugen, ist, überhaupt nicht über Yoga zu reden», sagt Wong. «Du musst die Männer einfach in ein Yogastudio bringen. In zehn von zehn Fällen spricht die Praxis für sich.» Er selbst ist in Santa Monica, Los Angeles, aufgewachsen. Dort ist Yoga ein Lifestyle, ähnlich wie Surfen oder Skateboarden. Männer und Yoga – das ist in Kalifornien seit den 1990er Jahren nichts Besonderes mehr. «Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit und der Zugangsmöglichkeiten, bis Yoga auch auf dieser Seite des Globus zur Kultur von Männern und Frauen gehört.» Die Vorteile von Yoga liegen für ihn, der seit fast zwanzig Jahren Yoga unterrichtet und seine Ausbildung auf fast allen Erdteilen absolviert hat, auf der Hand. «Yoga beruhigt, löst körperliche Blockaden und kann deinem Leben eine Perspektive geben.» Damit meint er: Yoga gibt dir Raum, herauszufinden, was dir guttut. Und das ist persönlich und bei jedem anders. ♦

 

Teil 1: Werd nicht seltsam!

Lesen Sie nächste Woche Teil 3:
Warum wir nicht gelenkig sein müssen, um Yoga zu machen. Im Gegenteil.


Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch «Yoga ist ein Arschloch. Warum es uns trotzdem so guttut» von Christine Bielecki. Verlag Die Werkstatt 2016. ISBN: 978-3-7307-0260-4

 

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