Eine Reise übers Meer in ein arabisches Königreich. Marokko liegt gleich gegenüber von Spanien, ein Katzensprung. Und doch ist es so anders.
Die Leute sagen, dass man an klaren Tagen von Málaga aus Marokko sieht. Einen feinen Strich. Um möglichst weitsichtig über das Mittelmeer zu blicken, kann man blinzeln oder die Augen zusammenkneifen. Aber auch durch die Lidspalte sieht man das nordafrikanische Land, die arabische Welt da drüben, kaum. Wie mystisch ist es jedoch, dass Afrika gleich vor der Tür liegt.
Marokko … Marokko findet sich auch in Südspanien. Alleine schon geschichtlich bedingt, weil sich früher die Mauren über Jahrhunderte in Andalusien niedergelassen hatten. Aus dieser Zeit blieben die weißen Häuser, arabische Paläste und Festungsanlagen zurück.
Ein Flair Marokko umgibt hier die Menschen also immer. Auch wegen der Marokkanerinnen und Marokkaner selbst. Zahlreiche kommen nämlich nach Spanien leben und arbeiten. Sie fahren Taxis, arbeiten in Bars und Restaurants in den Küchen, in Läden oder auf dem Bau. Die Immigrationsgeschichte und Beziehung zwischen Marokko und Spanien ist nicht nur einfach, unter anderem weil die spanischen rechten Parteien die marokkanische Migration überhaupt nicht goutieren. Sie wünschen sich, dass die Meeresenge von Gibraltar, die schon immer das arabische und afrikanische Tor nach Europa war, dicht bleibt.
Viele Marokkaner und Marokkanerinnen haben in Südspanien eine neue Heimat gefunden. Hier und dort kann man die in Honigsirup getrieften Süßigkeiten aus Sesam, Mandeln, Pistazien kaufen. Frisch importiert oder gleich hier von Marokkanern produziert, sind sind sehr schmackhaft. Und dass Marokko ein gut bekannter Nachbar ist, zeigte sich besonders bei der Fußball-WM letzten November und Dezember: Auf vielen Plazas, Plätzen, wo es Cafés und Restaurants gibt, johlten und klatschten Spanier und Marokkaner gemeinsam für die nordafrikanische Mannschaft. Komisch still wurde es lediglich, als die spanische und die marokkanische Nationalmannschaft gegeneinander spielen mussten in Katar – Spanien verlor, Marokko kam weiter.
Die ausländische Bevölkerung in Spanien zählte 2022 zirka 5,5 Millionen Menschen, wie das hiesige Statistikamt mitteilte. Davon waren rund 880′000 aus Marokko. Sie sind somit die größte Einwanderungsgruppe in Spanien.
Mit dem Flugzeug über die Autostraße
Schön, malerisch, aus einer anderen Zeit, jedoch die am meisten westlich geprägte Stadt von Marokko, so beschreiben die Leute Tanger. Dieser anfänglichen Suche nach dem feinen Landstrich auf der anderen Seite des Meeres, dem sollte nun ein Ende gesetzt werden: Mit dem Auto geht die Reise los, von der Stadt Málaga aus, wo sich der internationale Flughafen befindet, zum spanischen Küstenstädtchen Tarifa.
Schon die Hinfahrt nach Tarifa erfüllt Sehnsüchte. Von der Autobahn, die durch eine Hügellandschaft kurvt, sieht man auf einmal Gibraltar. Wegen des Blicks von oben hinunter sieht man die Form dieses kleinen britischen Staatsgebietes, das fast nur aus einem Felsen besteht. Und am Fuß dieses Felsens befindet sich tatsächlich ein kleiner Flughafen. Es heißt, da könne nicht jeder Pilot landen. Nichts für schwache Nerven. Außerdem kreuzen die Flugzeuge beim Landen und Starten die Hauptstraße, weswegen mehrmals an Tag der Verkehr stillsteht.
Tarifa ist der südlichste Punkt des europäischen Festlandes. Und ja, da sieht man sie jetzt, mit bloßem Auge, die Küste Afrikas. Marokko. So nah. Von hier aus legt die Fähre mehrmals pro Tag ab. In einer knappen Stunde hat man die berühmte Meeresenge von Gibraltar überquert und das Königreich Marokko erreicht.
Dirham? So heißt die marokkanische Währung. Wer im Vorfeld nicht Geld gewechselt hat, findet am Hafen von Tanger mehrere Bancomaten und kann sich mit Dirham eindecken. Und dann beim Abendessen: Keinen Rotwein? Wieso gibt es in diesem Restaurant keinen Rotwein? Die Kellnerin schaut mich verblüfft an und antwortete ein weiteres Mal auf Französisch: «Non, il n’y a pas d’alcool.»
Tanger mag für ihre Lage die am meisten westlich geprägte Stadt Marokkos sein, täglich kommen Touristen und Touristinnen an. Dennoch ist es ein arabische Land, und es wird hier gewünscht, dass man sich an gewisse Regeln hält. Die Hosen oder Röcke müssen beispielsweise so lange sein, dass sie die Kniee decken.
Gebetsgesang am Morgen
In Marokko ist der Islam Staatsreligion, und dem Glauben gehören rund 99 Prozent der Bevölkerung an, entsprechend viele Moscheen gibt es. Man erwacht jeweils mit Gebetsgesang, der von Lautsprechern verstärkt über die Dächer Tangers schallte. König Mohammed VI., der seit 1999 das Land regiert, versucht einen toleranten Islam zu verordnen, etwa politisch, menschenrechtlich und in der Anerkennung von anderen Religionen.
Der Alkohol, um auf die konsternierte Kellnerin zurückzukommen, ist in Marokko in Cafés und Restaurants und auf offener Straße nicht erlaubt. Genauer genommen: Nur bestimmte Hotels, Bars und Touristengebiete bekommen eine Lizenz für den Alkoholverkauf. Aber dafür wird überall in Marokko der «Whiskey Berber» getrunken, wie der starke Grüntee mit viel Minze scherzhaft genannt wird.
Wegen seiner guten Lage zwischen Atlantik und Mittelmeer waren früher verschiedene Nationen an Tanger interessiert. Die Stadt wurde jahrelang von mehreren Mächten gemeinsam verwaltet. Am Ruder waren mal die Franzosen, dann die Spanier, wiederum die Franzosen. Diese Fremdverwaltung endete mit der Unabhängigkeit Marokkos 1956. Heute sind Arabisch und Berberisch die Amtssprachen, aber Französisch ist es halboffiziell auch noch.
Tanger hat seine Glanzzeit hinter sich, die während der besetzten Zeit begann. Ab den 1920er Jahren reiste der internationale Jet-Sets an sowie viele Künstler und Schriftsteller, um zu schreiben und zu feiern. In den 1960er Jahren entdeckte ebenfalls Mick Jagger die Küstenstadt, sie inspirierte ihn, auch mochte er das Marihuana, das in der Region angepflanzt wurde.
Heute wirkt Tanger ein wenig heruntergewirtschaftet und vernachlässigt. Es gibt viel Verkehr. Die Medina – die Altstadt – ist nach wie vor wunderbar, in der Zeit stehen geblieben. Die verwinkelten weißen Gassen führen an zahlreichen kleinen Läden vorbei. Man findet Restaurants auf Dächern der Stadt, wo man Humus, Oliven und Fladenbrot essen und über Tanger blicken kann. Manchmal setzen sich die Dachbewohner, Katzen, neben einen.
Trotz der Modernisierung bleiben Arbeitslosigkeit und Armut große Probleme in Marokko. Auch Kinder bitten in Tanger immer wieder mal um Dirhams oder Euros. Wegen dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage versuchen viele, vor allem junge Marokkanerinnen und Marokkaner, nach Europa auszuwandern, um dort ein besseres Leben zu führen. ♦
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