Mensch. Gesellschaft. Meer.

Toby Obi #2

Kälte ist cool

Kaltes Wasser, das ist gesund. Wir sind über die Jahre Weicheier geworden, haben uns abgewöhnt, Kälte auszuhalten. Aber das kann man rückgängig machen.

In diesem Seelein in Arosa badete Tobias Santschi erstmals eiskalt. Danach wagte er sich in der Schweiz auch in einen eiskalten Fluss. / Bild: zvg

Ein Hauptbeweggrund, mich mit dem Thema Kälte zu befassen, war die Tatsache, dass ich im Jahr 2009 mal total verschnupft und erkältet im Bett lag. Ich wusste aber, dass es Leute gibt, die keine solche körperlichen Ausfälle haben. Also fing ich an zu recherchieren. Ziemlich schnell stieß ich auf die Erkenntnis, dass das mit dem Immunsystem zusammenhängt. Und Kälte ist halt ein Teil, womit sich das Immunsystem stärken lässt.

Kälte hinterlässt bei den Menschen einen eher negativen Eindruck. Dazu gibt es auch zahlreiche Assoziationen: Gefühlskälte (gefühllos), frösteln (Frost), frieren (gefroren), zittern, abkühlen, leiden … Es ist also eigentlich eine unerwünschte Empfindung.

Kälte versetzt den Körper in eine Art Alarmzustand (Gefahr), dadurch werden offenbar viele Schutzmechanismen aktiviert. Allerdings muss auch gesagt werden, dass wir durch die Zivilisation komplett verweichlicht wurden. Wir sind überhaupt nicht mehr gewohnt, auch nur kurzzeitig Kälte zu empfinden! Für nahezu jede Situation haben wir Söckchen, Bettflaschen, Mützen, Ohren- und Nasenwärmer, Finken usw. Wir gehen der Kälte aus dem Weg.

Erstmals über die positiven Auswirkungen von Kälte berichtete Pfarrer und Heilkundler Sebastian Kneipp (1821–1897). Für ein gesundes Leben ging er von einem ganzheitlichen Ansatz aus, der fünf Säulen beinhaltet: Pflanzen, Bewegung, Ernährung, Balance und eben Wasser. Heute besteht nahezu ein Hype, wenn es ums Kaltbaden geht, der niederländische Extremsportler Wim Hof trug auch seinen Teil dazu bei. Er ist The Iceman. Während es für andere nach einigen Minuten in einem Eiswürfelbad lebensgefährlich wird, harrt Wim Hof über eine Stunde lang darin aus.

Rückblende: Da mich dieses Kaltbaden interessierte und ich mich herausfordern wollte, versuchte ich erst mal kalt zu duschen. Ich begann ganz sachte, duschte nur am Schluss jeweils ein paar Sekunden kalt. Es kostete Überwindung.

Der Mensch hat eine Körpertemperatur von 37 Grad. Je mehr wir von dieser abweichen, umso unangenehmer fühlt es sich an. Und je länger man diese Komfortzone nicht mehr verlassen hat, desto unangenehmer fühlt es sich eben auch an. Ich behaupte, ausnahmslos jeder und jede kann sich an Kälte gewöhnen. Aber wichtig ist, dass man das sukzessive tut, aber stetig.

Natürlich tauschte ich mich zu diesem Thema auch aus. Als ich von einem Kollegen im Fitnessstudio erfuhr, dass er immer erst vier bis sechs Minuten mit kaltem Wasser duscht, fühlte ich mich wie ein Weichei. Von da an zwang ich mich, immer erst dreißig Sekunden kalt zu duschen.

Als ich dann vor rund drei Jahren erstmals in einem Fluss baden ging, und zwar in der eiskalten Berner Aare, engagierte ich eine Wim Hof-Therapeutin. Sie empfahl mir, erst eine Minute kalt zu duschen. Darauf steigerte ich also in Fünf-Sekunden-Schritten mein Kaltduschen, bis ich auf eine Minute kam. Heute ist es nicht mehr schwierig, eine Minute lang auszuharren, trotz allem braucht es Überwindung. Die Blutgefäße ziehen sich anfänglich zusammen, bevor sie sich wieder ausweiten. Dieses Stretching fördert die Durchblutung. Und der mentale Effekt zeigt sich darin, dass man etwas durchgezogen hat, was anfänglich unmöglich erschien.

Aarebaden ist etwas Fantastisches. Diesen Winter war ich bereits zweimal. Wenn die Temperatur der Aare unter zehn Grad ist, beginne ich zu baden.

Auch mit Kälte zu tun, hat das Barfußlaufen, darüber ein anderes Mal. ♦

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