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Doppelstandard bei Nestlé

Babys in armen Ländern essen süßer

Zwei der meistverkauften Babynahrungsmarken von Nestlé enthalten in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen hohe Mengen an zugesetztem Zucker – nicht so in der Schweiz oder in Deutschland.

Foto: zvg

Fünfzig Jahre nach dem legendären Milchpulverskandal* hat Nestlé nach eigenen Angaben zwar aus der Vergangenheit gelernt, setzt aber weiter alles daran, Weltmarktführer für Kleinkindernahrung zu bleiben. Der Schweizer Konzern kontrolliert zwanzig Prozent dieses Marktes, der auf fast 70 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Im Jahr 2022 gehörten etwa der Getreidebrei Cerelac und Milchpulver Nido mit einem weltweiten Umsatz von über 2,5 Milliarden US-Dollar zu den meistverkauften Marken in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen. In seinen Hauptmärkten in Afrika, Asien und Lateinamerika bewerbe Nestlé diese Produkte aggressiv als wichtig für die gesunde Entwicklung von Kindern.

Dies berichtet die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye, die gemeinsam mit dem International Baby Food Action Network (IBFAN) eine Recherche in einkommensärmeren Ländern gestartet hat. Gesunde Entwicklung? Die Rechercheresultate würden eine andere Realität zeigen, so Public Eye und IBFAN, die fast 150 Produkte getestet haben, die der Nahrungsmittelriese vermarktet. Und zwar: Fast alle der untersuchten Cerelac-Cerealien würden Zuckerzusatz enthalten – durchschnittlich fast vier Gramm pro Portion. Das entspreche etwa einem Zuckerwürfel, in Cerealien, die für Babys ab sechs Monaten bestimmt sind.

Bei uns ohne Zuckerzusatz

Die höchste Menge ­– 7,3 Gramm Zucker – wurde in einem philippinischen Cerelac nachgewiesen, so Public Eye. Die meisten Nido-Milchpulver für Kleinkinder zwischen einem Jahr und drei Jahren enthielten ebenfalls Zucker, im Schnitt fast zwei Gramm pro Portion. In der Schweiz und den wichtigsten europäischen Märkten, sprich in Frankreich, Deutschland und Großbritannien, verkauft Nestlé alle seine Babynahrung ohne Zuckerzusatz.

Für die von Public Eye befragten Kinderärzte und Expertinnen für Kinderernährung sind diese Doppelstandards nicht zu rechtfertigen und aus ethischer wie gesundheitspolitischer Sicht problematisch, besonders angesichts der Adipositas-Epidemie – Übergewichts-Epidemie – in Ländern mit niedrigem Einkommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt, dass ein früher Kontakt mit zuckerhaltigen Produkten eine Präferenz schaffen kann, die das Risiko für Fettleibigkeit und andere damit verbundene Krankheiten erhöht. Die WHO fordert deshalb seit 2022, jeglichen Zuckerzusatz aus der Nahrung für Babys und Kleinkinder unter drei Jahren zu verbannen. ♦

 


* Ab 1973 stand Nestlé ein Jahrzehnt lang wegen des Milchpulvers als «Baby-Mörder» am Pranger. Der Nahrungsmittelkonzern hatte Säulingsersatznahrung als bessere und gesündere Alternative zum Stillen vermarktet. Vor allem in Entwicklungsländern. Dort wurde die Verdrängung des Stillens für Millionen Todesfälle von Babys verantwortlich gemacht, wegen mangelnder Hygiene oder weil arme Mütter das Milchpulver zu sehr streckten. Ab der 1980er Jahre durfte Nestlé nicht mehr diese Marketingstrategie anwenden.

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