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Schweiz

Rassistische Online-Kommentare können strafbar sein

Vor eineinhalb Jahren hat die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus eine Plattform ins Leben gerufen, auf der rassistische Online-Kommentare gemeldet werden können. Die Bilanz des Pilotprojekts hat gezeigt, dass viele Äußerungen anonym sind – und damit schwer verfolgbar.

Illustration: Shafin Protic

Rassistische Vorfälle statistisch zu erfassen, ist nicht einfach – denn viele Fälle werden gar nicht gemeldet. Auf der anderen Seite bedeuten mehr registrierte Fälle nicht unbedingt, dass der Rassismus zunimmt. «Eine Zunahme bei den Meldungen kann auch bedeuten, dass sich in diesem Kontext eine größere Sensibilität entwickelt hat – und dass Betroffene vermehrt Meldung erstatten», sagt Giulia Reimann, stellvertretende Leiterin des Sekretariats der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus.

Laut des Menschenrechtsvereins humanrights.ch sind letztes Jahr 888 rassistische Vorfälle bei 22 verschiedenen Beratungsstellen gemeldet worden. In den meisten Fällen ging es um herabwürdigende Behandlungen, Beschimpfungen und Beleidigungen. Unter anderem am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen, im Kontakt mit Behörden oder in der Nachbarschaft. Um zu illustrieren, wie Rassismus im Alltag aussehen kann, führt humanrights.ch verschiedene Fallbeispiele aus der Beratungspraxis an. Zum Beispiel:

Beim Arbeitsamt streicht der Berater von Frau Z. die Erstsprache aus ihrem Lebenslauf und ersetzt sie mit einer der Schweizer Amtssprachen. Auch schlägt er ihr vor, ihr Herkunftsland nicht zu erwähnen, sondern nur die aus seiner Sicht weniger «fremd» wirkende Staatsangehörigkeit im Lebenslauf zu lassen und den Nachnamen ihres Ehemannes zu übernehmen. Seine Begründung ist, dass niemand rassistisch sein wolle, aber im Inneren seien es alle.

Online wird oft anonym gehatet

Ein nicht zu vernachlässigender Bereich für rassistische Äusserungen ist das Internet. Auf Online-Plattformen und Social Media ist die Hemmschwelle tiefer, vor allem weil je nach Kontext anonyme Äußerungen möglich sind. Das macht die Strafverfolgung äußerst kompliziert – auch weil in der Schweiz nur Taten zur Anzeige gebracht werden können, die hierzulande stattgefunden haben. «Das ist in vielen Fällen fast unmöglich zu eruieren», so Reimann. «Telegram zum Beispiel ist ein verschlüsselter Dienst mit Servern in Russland, da kommt man nicht an die Daten heran. Oft kann man nicht nachweisen, dass die Tat in der Schweiz verübt wurde – außer es gibt Hinweise auf die Herkunft des Täters. Zum Beispiel bei Nachrichten auf Schweizerdeutsch oder bei Kommentaren zu einem Schweizer Kontext.»

Gerade weil es sich um ein so komplexes Thema handelt, widmet die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) der rassistischen Online-Hassrede spezielle Aufmerksamkeit. Seit November 2021 können auf der Online-Meldeplattform reportonlineracism.ch Fälle von Online-Hassrede mit rassistischer Komponente gemeldet werden. Auch weil in Beratungsgesprächen immer wieder die Frage aufkam, wo entsprechende Fälle gemeldet werden können. Nach einem Jahr konnte für das Pilotprojekt eine erfolgreiche Bilanz gezogen werden: Insgesamt wurden 163 Fälle gemeldet. Damit ist für die EKR klar, dass tatsächlich Bedarf existiert.

Die meisten Hasskommentare werden in Kommentarspalten von Online-Medien sowie auf Facebook registriert.

Unter rassistischen Online-Hassreden werden laut EKR Äußerungen im Internet verstanden, die «eine Person oder Personengruppe wegen ihrer Rasse, Hautfarbe, Ethnie, nationalen Herkunft oder Religion herabwürdigen, gegen sie zu Hass aufrufen oder dies befürworten, fördern oder rechtfertigen». Die meisten gemeldeten Fälle von Hasskommentaren wurden in den Kommentarspalten von Online-Medien sowie auf Facebook registriert.

Die EKR-Plattform stellt eine einfache und niederschwellige Meldefunktion für Personen dar, die rassistische Hassrede im Internet lediglich melden und nicht unbedingt eine Beratung in Anspruch nehmen wollen. Die meisten Meldungen werden anonym vorgenommen, so dass eine Kontaktaufnahme gar nicht möglich ist. «Das wichtigste Ziel der Plattform ist es in einem ersten Schritt, Daten zu erheben», so Giulia Reimann von der EKR. «Natürlich beraten und begleiten wir Menschen, die dies wünschen, geben Empfehlungen ab und leiten sie an andere, spezialisierte Beratungsstellen weiter.» Zum Beispiel an den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus oder die Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz.

Doch was soll man Menschen raten, die rassistisch beschimpft werden? «Die ETH Zürich und die Universität Zürich haben im Rahmen des Projekts Stop Hate Speech von Alliance F eine Studie zu dieser Frage veröffentlicht. Es wird untersucht, ob und in welcher Form Gegenrede sinnvoll sein kann. Die Studie kommt zum Schluss, dass Hasskommentare am wirksamsten bekämpft werden können, wenn man bei den Verfasserinnen und Verfassern Empathie für Betroffene erwirkt. Wichtig ist auch, dass viele andere Meinungen gepostet werden, damit nicht der Eindruck entsteht, dass der Rassismus überwiegt.»

Hassaufrufe oder Tiervergleiche sind strafbar

Rund ein Viertel der beim EKR gemeldeten Fälle sind strafrechtlich relevant, indem sie unter anderem den Straftatbestand der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass erfüllen, wie er in Artikel 261bis des Strafgesetzbuches festgelegt ist. «Straffällig sind die Äußerungen allerdings nur, wenn sie öffentlich gemacht werden. Das heißt: Alles, was in privaten Nachrichten geschrieben wird, kann nicht zur Anzeige gebracht werden – außer, es handelt sich um Ehrverletzungen, die eine Person direkt angreifen. Doch diese müssen von den Betroffenen selbst angezeigt werden, da es sich nicht um ein Offizialdelikt handelt», sagt Reimann. Und selbst beim Straftatbestand der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass muss eine Beleidigung oder Beschimpfung eine gewisse Intensität haben. «Aufruf zu Hass oder Tötung ist ein Beispiel, oder auch wenn jemand mit einem Tier verglichen und damit seine Menschenwürde verletzt wird. Aber: Nur weil ein Kommentar nicht strafbar ist, heißt das noch lange nicht, dass er nicht rassistisch ist.» ♦

www.reportonlineracism.ch

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