Mensch. Gesellschaft. Meer.

Femme géniale #4

Wild, mutig und extrem

Eine gerechtere Welt, das wollte sie. Und dafür war sie zu allem bereit – auch die Waffe in die Hand zu nehmen. Die Deutschargentinierin Tamara Bunke liebte Lateinamerika und kämpfte für dieselben Ideale wie Che Guevara. In Bolivien versuchten sie gemeinsam eine politische Umwälzung herbeizuführen – aussichtlos.

Foto: zvg

Sie schrieb: «Die Lateinamerikaner müssen die Revolution machen. Den objektiven Bedingungen entsprechend muss das mit Waffen geschehen.» Für die junge Frau war die Revolution ein Naturgesetz. Tamara Bunke hatte etwas Burschikoses, etwas Lautes, war ein fröhlicher Mensch, der auch über sich selbst lachen konnte. Sie war wild, mutig und extrem. Und sie war eine Frau, die Worte zu Taten machte: Sie verließ Deutschland, um in Lateinamerika an der Seite des argentinischen Guerilleros Ernesto «Che» Guevara zu kämpfen. «Es gibt nichts Schöneres, als dort zu sein, wo es brennt und der revolutionäre Kampf am härtesten ist.»

Haydée Tamara Bunke Bider wurde 1937 in Buenos Aires geboren. Ihre Eltern waren vor dem Nazi-Regime aus Deutschland nach Argentinien geflohen, der Vater, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei war, die Mutter, weil sie Jüdin war. In Buenos Aires arbeiteten sie als Sprachlehrer. Ihr Haus war ein regelmäßiger Treffpunkt für linke Intellektuelle. Tamara wuchs also in einem Umfeld auf, wo politisiert, debattiert und eine gerechtere Welt angestrebt wurde. 1952 beschlossen die Eltern, in die neu gegründete DDR zurückzukehren. Tamara begann 1958 ein Romanistikstudium an der Humboldt-Universität in Berlin und zeichnete sich durch ihre Sprachkenntnisse aus: Neben Deutsch sprach sie Französisch, Englisch, Russisch und Spanisch.

Im Alter von 22 Jahren arbeitete sie zusammen mit ihrer Mutter als Übersetzerin. Tamara wurde der Handelsdelegation zugeteilt, die Che Guevara 1960 in die DDR begleitete, wo er als Präsident der kubanischen Nationalbank auf der Suche nach internationaler Unterstützung war. So kam es zur ersten Begegnung dieser zwei Menschen mit revolutionären Seelen. Es bildete sich ein starkes Band, zumal sie gemeinsame Ideale hatten und beide weit weg von ihrer argentinischen Heimat lebten. Tamara war sowohl Deutsche als auch Argentinierin.

Aus Tamara wird Tania

In der DDR-Delegation war ebenso eine Kubanerin dabei, die Tamara nach Kuba einlud. Sie solle doch mal einige Zeit auf der Insel verbringen. Tamara ließ sich das nicht zweimal sagen, reiste nach Kuba und arbeitete dort als Übersetzerin im Bildungsministerium. Außerdem begann sie an der Universität von Havanna Journalismus zu studieren.

Und so kam es, dass sie eines Tages Che wieder traf. Bald schlug er ihr vor, als Spionin zu arbeiten, um den Sozialismus in Lateinamerika weiter zu verbreiten. Sie sagte zu. Aus Tamara Bunke wurde «Tania», ihr Deckname, mit dem sie unter ihren Kameraden bekannt werden sollte. 1963 begann sie eine intensive Ausbildung zur Spionin: Vormittags erhielt sie militärischen Unterricht, nachmittags Spionagetraining. Tamara wurde auch in der Verschlüsselung von Nachrichten, der Handhabung von Waffen, Funk- und Übertragungsgeräten, der Herstellung von Sprengstoff und dem Überleben im Dschungel unterrichtet.

Nach Abschluss ihrer Ausbildung beauftragte Che sie mit der Vorbereitung des städtischen Netzes einer Guerillabewegung in Bolivien. Dazu sollte sie mit dem engsten Umfeld der Regierung in Verbindung treten und keine Beziehungen zu linken Organisationen haben, um keinen Verdacht zu erregen. Doch zunächst musste sie sich eine falsche Identität zulegen. Also kehrte sie 1964 unter dem Namen Haydée Bidel González nach Europa zurück und schuf sich eine Vergangenheit mit Fotos von einem kleinen Dorf an der österreichisch-italienischen Grenze und von alten Menschen, die sie als ihre Eltern ausgeben konnte. Aber die Biographie hatte zu viele Lücken.

Mit verschiedenen Namen, Frisuren und Pässen unterwegs. / Foto: zvg

Später reiste sie in mehrere Länder und änderte ihren Namen. Vittoria Pancini und Marta Iriarte waren ihre Pseudonyme. Am Ende wurde sie Laura Gutiérrez Bauer, deren Lebensdaten an Tamaras tatsächliche Geschichte angelehnt wurden. Auf 15 Seiten wurde die Biographie dieser Laura mit unzähligen Details festgehalten. Dann: Mit braun gefärbten Haaren, um ihr blondes Haar zu verbergen, einer dunklen Brille und einem falschen Pass brach sie schließlich 1964 nach Bolivien auf.

Sie gab sich als Ethnologin mit den Schwerpunkten Archäologie und Anthropologie aus. Sie ließ sich in der Regierungsstadt La Paz – hoch oben in den Anden – nieder, wo sie sich innerhalb von drei Monaten einen Namen in der politischen Klasse Boliviens machte und in den folgenden Monaten ihre Spionagetätigkeit mit großem Erfolg ausübte. Auch unterrichtete sie Kindern Deutsch und lernte sogar den bolivianischen Präsidenten René Barrientos persönlich kennen. In diesen rund zwei Jahren in Bolivien hat niemand Laura González Bauer verdächtigt. Sie heiratete einen Studenten der Elektrotechnik und Sohn eines bedeutenden Bergbauingenieurs und erhielt so den bolivianischen Pass.

Schließlich war es an der Zeit, Vorbereitungen für die Ankunft der Guerilla zu treffen. Ihre Aufgabe war es, sichere Unterkünfte für die Kämpfer zu finden, die auch als Lagerräume dienen konnten. Bald jedoch begannen ihre ständigen Ein- und Ausreisen, um ihre Ziele für die Revolution zu erreichen, ihre Tarnung zu gefährden. Ursprünglich sollte sich «Tania» ausschließlich der Nachrichtendienstarbeit widmen, doch aufgrund des Personalmangels war sie gezwungen, die Kämpfer in Empfang zu nehmen.

Che traf schließlich Ende 1966 unter falscher Identität ebenfalls in Bolivien ein. 1967 nahm die selbsternannte Bolivianische Nationale Befreiungsarmee unter der Leitung von Che Guevara die Guerilla-Aktivitäten auf. Wenige Tage später erhielt Tamara von Che ein Gewehr und schloss sich einer der Kolonnen der Guerilleros an. Kurz darauf desertierten zwei Guerillamitglieder. Sie informierten den bolivianischen Staat, wo sich die Revolutionäre aufhielten.

Erschossen, vergraben, geborgen

Am 31. August 1967 kam Tamaras Gruppe in einem Dorf an, wo dann ein Bauer sie über einen Fluss führte. Aber das war eine Falle. Der Bauer stand in Kontakt mit der Armee. 35 Soldaten waren auf beiden Seiten des Flusses stationiert und schossen auf die Gruppe, als diese den Fluss überqueren wollte. Tamara Bunke starb, wurde vom Wasser weggeschwemmt, ihre Leiche erst Tage später gefunden. Die Jagd auf die kubanische Guerilla ging unerbittlich weiter. Schließlich konnte man auch Che Guevara lokalisieren. Er wurde angeschossen, gefangen genommen und ins Dorf La Higuera gebracht, wo er im Oktober 1967 exekutiert wurde.

Was die Leiche der Guerrillera «Tania» betraf, sie wurde in Bolivien erst mal an einen geheimen Ort beerdigt, damit ihr Grab nicht zu einer Pilgerstätte für linke Organisationen wurde. 1996 wurden ihre sterblichen Überreste und die der anderen Kämpfer von einer Gruppe kubanischer Gerichtsmediziner geborgen und nach Kuba gebracht, wo sie bis heute im Mausoleum der Stadt Santa Clara ruhen, zusammen mit den sterblichen Überresten von Comandante Ernesto Guevara und den anderen Genossen, die in Bolivien ums Leben kamen. Tamara Bunke war 30 Jahre alt, als sie im Fluss starb – mitten in einer Revolution. ♦

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