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Nachhaltigkeit

Darf ich in den Schokohasen beißen?

Nächste Woche ist Ostern, der Einkauf von Schokohasen steht an. Woher die Kakaobohne in der Schokolade im Detailhandel stamme, wisse man oft nicht, sagt Andrea Hüsser. Die Schokoladenexpertin organisiert am Sonntag das Schoggifestival ehrundredlich in Zürich – mit Schokohasen aus nachhaltiger Produktion und fairem Handel.

Foto: Michael Schäli

Die Schokoladenhasen stehen in den Regalen der Supermärkte: wohlgeformt, nett verpackt, bereit zum Reinbeißen. «Ein Schokoladenhase muss hübsch aussehen, ist meist geschminkt», sagt Andrea Hüsser, «denn er soll Kinder, aber auch Erwachsene ansprechen.» Was die Schweizer Schokoladenexpertin daran stört, ist nicht die Ästhetik. Sondern, dass jedes Jahr zur Osterzeit mit den Hasen keine qualitativ gute Schokolade angepriesen wird.

Mit «qualitativ gut» meint Hüsser nicht nur die Zutaten und die Produktion der Schokomasse. Seit 16 Jahren setzt sich die 46-Jährige für bessere Arbeitsbedingungen, eine faire Bezahlung der Kakaobauern und Kakaobäuerinnen sowie für Nachhaltigkeit ein, auch über die Nichtregierungsorganisation Good Chocolate Hub. «Ja, die Schweiz ist das Schoggi-Land per excellence», sagt sie. Im Verzehr von «Schoggi» – Schokolade – sei das Land sogar Weltmeister. «Die wichtigste Zutat aber, der Kakao, kommt von weit her.»

Das Verstecken der Osterneste mit den schmackhaften Süßigkeiten: Das gehört doch zu dieser feierlichen Zeit einfach dazu! Darf man jedoch mit gutem Gewissen noch Schokohasen und Schokoeier essen? «Auf jeden Fall darf man das», sagt Hüsser, die auch studierte Ethnologin und zertifizierte Chocolate Tasterin ist. «Die Frage ist nur, welche Schokolade man isst? Und woher der Kakao in der Schokolade kommt?» Denn in den Herkunftsländern von Kakao würden große soziale und ökologische Missstände existieren.

Kakaofrüchte und trockene Kakaobohnen. / zvg

Woher die Kakaobohne stammt, steht auf der Verpackung, nicht wahr? «Natürlich nicht, nicht bei den Osterhasen, das ist das Problem», so Hüsser. «Dasselbe passiert auch bei den Weihnachtsschokolädchen.» Anders sei es bei Schokoladentafeln, da würde mittlerweile vereinzelt die Herkunft der Bohne festgehalten, auch, ob man mit dem Kauf der Tafel ein Baum pflanzt oder ein soziales Projekt unterstützt. «Aber bei den Hasen gibt es in der Schweiz kein Gesetz, dass diese Angaben fordert, nur die Inhaltsstoffe müssen genannt werden.»

Wenn Hüsser darüber spricht, schwingt Empörung mit. Letztes Jahr habe eine Schweizer Supermarktkette erstmals einen nachhaltigen Schokohasen im Regal angeboten, von dem man wusste, woher der Kakao stammt. «Zwanzig Jahre sind unterdessen vergangen, seit man von den Missständen in der Schokoladenproduktion weiß, und doch haben bislang die großen Marken und Großhändler nur einzelne kleine nachhaltige «Projekte» lanciert wie diesen Hasen.»

Zwanzig Jahre, in denen nach Schätzungen fünf Millionen Kakaofamilien weltweit miserabel bezahlt würden. Zwanzig Jahre mit vielen Menschenrechtsverletzungen in der Schokoladenproduktionskette. «Ein Beispiel wäre die ausbeuterische Kinderarbeit. Statt dass die Kinder in die Schule gehen, arbeiten sie auf den Plantagen», sagt die Expertin. Oder beim Mitanpacken würden die Kinder körperliche oder psychische Schäden davontragen, «weil sie mit Macheten arbeiten oder schwere Lasten herumschleppen.» Alleine in der Elfenbeinküste und in Ghana betrifft das 1,5 Millionen Kinder.

Diese beiden Länder sind denn auch die größten Kakaoanbauer: In der Elfenbeinküste werden rund 40 Prozent weltweiten Kakao produziert, in Ghana rund 20 Prozent. Fasst man alle Anbauländer Westafrikas zusammen, liefert diese Region mehr als 70 Prozent des Kakaos. Darauf folgen die lateinamerikanischen Länder wie Ecuador, Brasilien oder Bolivien, dann die asiatischen wie Vietnam, Indonesien oder Malaysia.

Hinzu kommen ökologische Missstände: In der Elfenbeinküste und in Ghana sind in den vergangenen vierzig Jahren für die Kakaopflanzung riesige Bestände des Urwalds abgeholzt worden. Zwischen vierzig und sechzig Prozent Dschungel sollen mittlerweile verschwunden sein – und mit ihm die Biodiversität. Hüsser: «Herausgefunden hat man das per Zufall, weil Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine bestimme Affenart in der Elfenbeinküsten erforschen wollten.» Als sie in die Wälder vordrangen, hätten sie bemerkt: Diese Affenart gibts gar nicht mehr, und dieser Urwald, der sieht ja eigenartig aus. Quintessenz: «Es sind keine Urwälder mehr, sondern Kakaoplantagen: Monokulturen, die den Klimawandel anheizen», so Hüsser.

Drei Tipps für nachhaltige Ostern

1 – Ein Schokohase im Osternest reicht aus. Dafür soll er wohlschmeckend, kostbar und vor allem sorgfältig und nachhaltig hergestellt sein. Produzenten, die die Schokoladenherstellung von Bean to bar – von der Kakaobohne bis zur Schokoladentafel – kontrollieren, finden sich online sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland und Österreich.

2 – Die Bereitschaft haben, den Wert zu bezahlen, den Schokolade wirklich hat. Schokohasen und Schokoeier, die nur zwei Euro kosten, sind zu billig. Die Kosten für die Produktion sind mit diesem Preis nicht gedeckt – vor allem die Arbeit der Kakaobauer und Kakaobäuerinnen nicht.

3 – Bei konventionellen Osterhasen-Herstellern dranbleiben und immer wieder nachfragen, woher ihr verwendeter Kakao genau kommt, was sie gegen Menschenrechtsverletzung und Abholzung tun und wie sie den Kakaobauernfamilien ein existenzsicherndes Einkommen garantieren.

Die Schokolade in den Läden ist preiswertig. Während Verbraucherschützer monieren, dass die aktuellen Schoko-Preise zu hoch seien, sagt Hüsser ganz klar: «Die Schokolade in den Läden ist zu günstig.» Zumindest, wenn man alle Kosten einer Tafel oder eines Schokohasen decken möchte. «Lediglich die Industrie und der Detailhandel verdienen damit viel Geld, die Kakaobauern leben in Armut.» Seit drei Jahren organisiert Andrea Hüsser das Schoggifestival ehrundredlich in Zürich (siehe Kasten unten). «Die Schokolade, die wir dort vorstellen, kostet einiges mehr. Weil wir zeigen wollen, welche Arbeit drinsteckt, und sie damit anerkennen.» Und nicht nur die Arbeit, sondern auch die Strecke, die eine solche Kakaobohne zurücklegt.

Die Frage kommt auf: Wie viel Kolonialismus steckt eigentlich in einer Schweizer Schokolade? «Nun: viel!», sagt die Ethnologin. Wie Baumwolle oder Zucker waren Kakaobohnen ein typisches Produkt aus den Kolonien, das mit Hilfe von Sklaven und Sklavinnen angebaut, geerntet und danach in der Welt vertrieben wurde.» Der Kakaohandel sei zur Zeit des Kolonialismus Bestandteil des transatlantischen Dreieckshandels zwischen Europa, Afrika und Amerika gewesen, an dem sich auch die Schweiz beteiligte – ohne selber Kolonien zu besitzen. «So bezog die Schweizer Marke Cailler über Schweizer Händler den Kakao von Sklavenplantagen in Venezuela und Brasilien.»

Andrea Hüsser ist es jedoch genauso wichtig, die schöne Seite der süßen Ware zu zeigen. Sie bricht ein Stück Schokolade von einer Tafel ab und riecht daran. «Schokolade ist auch ein wunderbares Produkt, das die größte Aromavielfalt hat, die man sich überhaupt vorstellen kann. Die meisten wissen das gar nicht.»

«Eine Bean to Bar-Schokolade ist wie eine Flasche guter Wein.»

Die Schokoladenexpertin beißt nicht in irgendeine Schokolade hinein, sondern in eine sogenannte Bean to Bar-Produktion – von der Bohne bis zur Tafel. Das bedeutet: Nach dem Ernten, Fermentieren und Trocknen der Bohne im Anbauland findet die gesamte Schokoladenproduktion in einer kleinen Manufaktur statt. Das kann auch in der Schweiz, in Österreich oder in Deutschland sein. Hauptsache: Jeder Schritt wird kontrolliert und ist nachhaltig.

«Eine solche Schokolade ist wie eine Flasche guter Wein», erklärt Hüsser. «Sie hat ihren Preis, sie zu degustieren, ist ein Genuss, und auf der Verpackung sind alle nötigen Angaben – unter anderem in welchem Jahr die Ernte war oder was für eine Geschmacksnote die Schokolade hat.»

Dieses Jahr finden sich im Schoggifestival erstmals auch zwei Bean to Bunny-Osterhasen und Bean to Egg-Schokoeier. Der süßen Versuchung zu Ostern steht also nichts mehr im Weg. Andrea Hüsser: «Es bleibt zu hoffen, dass Big Chocolate, sprich die Großindustrie der Schokolade irgendwann mal den Turn Around schafft und ebenfalls komplett nachhaltig produziert.» ♦

 

Schoggifestival ehrundredlich

Weder einen goldenen Lindt-Hasen noch Ragusa oder Toblerone wird es am Schoggifestival geben. Die Schweiz bietet nämlich mehr als das – und das «mehr» kann man kommenden Sonntag, 24. März, degustieren. Zum dritten Mal findet in Zürich das Schoggifestival ehrundredlich statt, das den bewussten Konsum von Schokolade fördert und sich für Nachhaltigkeit in der Schokoladenindustrie einsetzt. Das Festival, organisiert von der NGO Good Chocolate Hub, bietet eine Plattform für kleine Kakao- und Schokoladehersteller, NGOs und Forschungsinstitute. Nebst den 25 Ausstellern und Ausstellerinnen, die ihre Schokolade vorstellen, wird es Workshops, Vorträge und Gespräche zu Schokolade und Kakao geben. So kann man etwa aus Kakao vor Ort Schokolade machen oder einen «Crash-Kurs Schokolade» besuchen oder Antworten auf Fragen wie «Wer bezahlt die wahren Kosten einer Schokolade?» und «Wie entstehen die unzähligen Aromen in der Schoggi?» finden.

Wann: Sonntag, 24. März, 10-17 Uhr
Wo: Kulturareal Mühle Tiefenbrunnen, Zürich
Wie viel: 12 Franken, Kinder gratis

www.schoggifestival.ch

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