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andersRum #7

Der Panda mit der Elefantenmaske

Sind der Öko-Fuzzi und die Eso-Tante plötzlich rechtsradikal? Und warum verteufelt die neue Linke das kritische Hinterfragen? Ich bin verwirrt. Und dennoch zu einer Einsicht gekommen.

Als ich in Anfang 20 begann, eine Meinung zu politischen Fragen zu entwickeln, stellte ich fest: Ich stimmte bei fast allen Themen mit Parteien und Persönlichkeiten überein, die als klassische Linke galten. Also begann ich, mich auch als Linke zu identifizieren. Das hieß für mich: klare Front gegen Rassismus, Sexismus, Machotum und alle anderen Auswüchse von Diskriminierung und Überheblichkeit. Gleiche Rechte für alle und Solidarität mit Mehr- oder Minderheiten, die im bestehenden Sozialsystem benachteiligt werden. Und nicht zuletzt Priorisierung von Umweltschutz vor endlosem Wirtschaftswachstum und der Bereicherung der eh schon Reichen.

Trotzdem trat ich nie einer Partei bei. In weiser Voraussicht, falls ich bei irgendeinem Thema mal nicht mit der offiziellen Meinung einverstanden sein sollte. Was tatsächlich passierte – früher sehr vereinzelt und in den letzten Jahren immer häufiger. Wobei sich meine Standpunkte nicht verändert haben, sondern eher noch prononcierter geworden sind und ich mich mindestens genauso lautstark für Umwelt- und Menschenrechte ausspreche wie vor zwanzig Jahren. Während mich ein Teil der alten Linken genau deswegen schätzt, werde ich von anderen regelrecht verunglimpft, und zwar im Zusammenhang mit ganz verschiedenen Themen. Unter anderem wurde ich – aus mir unerfindlichen Gründen – vor ein paar Jahren als Antisemitistin bezeichnet, und in einem anderen Fall sogar bezichtigt, als Spionin für die Schweizer Regierung zu arbeiten. Beides auf Grund von Texten, ich denen ich es wagte, die Komplexität einer Konfliktsituation zu erklären, indem ich die Standpunkte von beiden Seiten darlegte – und zwar, ohne sie zu beurteilen.

Zuerst verletzten mich diese Diffamierungen, dann verwirrten sie mich, doch schließlich merkte ich: Die Linke ist nicht mehr, was sie mal war. Und ich meine das gar nicht wertend, sondern ich habe einfach festgestellt, dass die politischen Zuordnungen von «rechts» und «links» sich inhaltlich verändert haben. Die Covid-Krise war in diesem Zusammenhang ein Katalysator, da sie viele dazu gebracht hat, sich expliziter zu positionieren und dies auch zum Ausdruck zu bringen. Was zu unangenehmen und verwirrenden Begegnungen führte, bei denen etwa ehemalige Linke und ehemalige Rechte plötzlich Seite an Seite protestierten.

Müssen wir «links» und «rechts» neu definieren? Oder die Kategorien ganz abschaffen?

Ich sehe immer mehr politische Mischwesen, bei denen man nicht mehr recht weiß, ob sie nun links oder rechts sind, weil sie Charakteristiken der alten Linken und der alten Rechten vereinen. Wie den ehemaligen Revolutionär, der immer noch wie ein Hippie aussieht, eine sehr freie Spiritualität praktiziert und sich als extrem naturverbunden wahrnimmt – gleichzeitig aber voll von rassistischen und sexistischen Kommentaren ist und das Autofahren als Ausdruck von individueller Freiheit betrachtet, das ihm ja kein Öko-Regime verbieten solle. (Ähnlichkeiten mit realen Personen sind fast rein zufällig.)

Müssen wir «links» und «rechts» neu definieren? Oder die Kategorien ganz abschaffen? Dies würde jedenfalls helfen, Wölfe im Schafspelz oder Pandas mit Elefantenmaske zu entlarven. Denn wenn sich Rechtsradikale hinter einer Hippie-Fassade verstecken können, haben wir ein Problem. Das zeigt auch eine Broschüre aus dem deutschen Bundesland Hessen, die der Definition einer «neuen Rechten» auf der Spur ist. Schon der Titel, «Erscheinungsformen der extremen Rechten zwischen Ökologie und Esoterik», lässt mich stutzen – bin ich doch in der Vergangenheit nebst allen anderen schönen Zuschreibungen auch schon als Öko-Fuzzi und als Eso-Tante bezeichnet worden. Allerdings von konservativer Seite, die mich damit im linken Kuchen verorten wollte. Angesichts des immer größer werdenden Problems, das Hessen mit rechtsextremer Gewalt hat, ist der Versuch einer aktualisierten Charakterisierung wichtig. Doch ein Teil der Inhalte verstärken meine Rechts-Links-Verwirrung.

Da heißt es nämlich: Rechtsextremismus ist nicht nur gleich Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Islamfeindlichkeit, sondern auch gleich Naturschutz, Spiritualität und ganzheitliche Medizin sowie Kritik an den Konsequenzen des Globalismus. Die so genannte «alternative Szene» sei nichts weiter als ein «Deckmantel für die Neue Rechte» und damit «anschlussfähig an die Ideologie des Nationalsozialismus». Auch Anthroposophen gelten laut dieser Broschüre als potenziell rechtsextrem, weil sie «eine gesunde Lebensweise, ausreichend körperliche Bewegung und eine positive Weltanschauung» als gesundheitsfördernd betrachten. Nicht zu vergessen die grüne Partei, an deren Gründung in den 80er Jahren «völkische und nationalkonservative Akteure» beteiligt gewesen sei.

Ups. Damit habe ich definitiv den Überblick verloren – doch gleichzeitig eine Einsicht gewonnen: Lechts und Rinks, wie es der österreichische Dichter Ernst Jandl so schön auf den Punkt brachte, kann man eben doch velwechsern. Also diskutieren wir in Zukunft lieber wieder über Inhalte, wie wärs? ♦

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