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Interview mit Gender-Kennerin Susanne Olschewski

«Sprache schafft Realitäten»

Sie ist Feministin, Coachin und Sprachwissenschaftlerin. Außerdem arbeitet Susanne Olschewski als Lehrerin an einer Grundschule in Berlin und engagiert sich im ältesten Frauenverband von Deutschland sowie bei den Grünen. Die 45-Jährige sieht Dringlichkeit, alte Strukturen aufzuzeigen und aufzubrechen – gerade auch in der Sprache.

Foto: zvg

Braucht die deutsche Sprache eine Veränderung, für die Gleichstellung von Mann und Frau?
Susanne Olschewski: Klares Ja, und das nicht nur für die Gleichstellung von Mann und Frau. Sondern auch um Menschen anzusprechen, die sich nicht als Mann oder Frau einordnen. Sprache schafft Realitäten. Und sie hat einen Einfluss darauf, was wir uns vorstellen können und was wir für normal halten. Sie prägt in diesem Sinne ebenso unser Verständnis von Rollenbildern und Stereotypen. Leider behandelt unser jetziger Sprachgebrauch die Geschlechter nicht gleich und beeinflusst damit unser Denken und folglich ebenso unser Handeln. Das kann zu ungleichen Chancen führen, etwa in der Arbeitswelt, oder zu Problemen bei der Identitätsfindung – sowohl bei Frauen als auch bei Männern.

Wo fangen wir an?
Ein erster Schritt wurde Anfang letzes Jahres von der Duden-Redaktion umgesetzt, zumindest im Online-Bereich. Dort schaffte man das generische Maskulinum für Personen- und Berufsbezeichnungen ab. Das heißt, bei der Form «Politiker» sind männliche Personen gemeint. Handelt es sich um Frauen, steht die korrekte Form «Politikerinnen». Menschen, die sich nicht in der binären Einteilung in Mann und Frau wiederfinden, können durch den Gender-Doppelpunkt – «Politiker:in» – dargestellt werden.

Sie arbeiten auch als Grundschullehrerin, was stellen Sie bei der Sprache ihrer Schüler:innen fest?
Geschlechtsstereotypen werden bereits im frühesten Kindesalter verinnerlicht und gelebt. Gleiches Verhalten wird unterschiedlich bewertet: Mädchen, die klar ihre Meinung vertreten, werden öfter als bestimmend befunden, Jungs dagegen als durchsetzungsfähig. Auffällig ist auch die negative Konnotation vom Mädchenhaften, die schon bei Kindern vorherrscht. Mädchen gelten als schwach, unsportlich und weinerlich. Dies drückt sich dann in Beleidigungen gegen nicht der männlichen Norm entsprechende Jungs aus. Sätze wie «Heul doch, du Mädchen» oder «Du wirfst wie ein Mädchen!». Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen bleiben somit auf der Strecke.

Was können wir dagegen machen?
Geschlechtergerechte Sprache sollte sowohl zu Hause als auch in Kita und Schule nicht nur selbstverständlich sein, sondern auch in den Unterricht eingebunden werden. Dafür müssen ebenso Eltern, Erzieher:innen und Lehrer:innen sich mit diesem Thema beschäftigen, Rollen und Verhalten hinterfragen und Denkmuster ändern. Ein guter Anfang ist, stereotype Aussagen zu vermeiden, zu thematisieren, sogar zu kritisieren.

Es fällt auf, dass es Leute gibt, die sich sehr ärgern, wenn sie gendern sollen oder wenn übers Gendern gesprochen wird, finden Sie nicht?
Ja, das ist zu sehen, da hat man in Deutschland auch ein ganz prominentes Beispiel, den Friedrich Merz, Chef der CDU. Er wird sowas von getriggert, wenn es um dieses Thema geht, dass es mittlerweile ganz viele Memes und Witze über ihn gibt. Er selbst greift dieses Thema lustigerweise immer wieder auf, sonst würde man wohl viel weniger darüber reden. Natürlich führt Merz keinen konstruktiven Diskurs, sondern ist abwertend, macht Witze übers Gendern, da gibt es ja ganz unterirdische Tweets von ihm dazu auf Twitter.

Merz gehört einer konservativen Partei an. Könnte man generell Gender-Gegner eher in diesen Kreisen verorten?
Ja, für mich stellt sich das immer wieder heraus, dass viele Gegner aus der rechten oder konservativen Szene kommen. Leute also, die ein Interesse daran haben, dass eine gewisse Ordnung erhalten bleibt, diese Weltordnung, die in Rosa und Blau einteilt. Und so soll es bleiben. Dazwischen solls nichts geben, was verwirren könnte. Gewisse Menschen brauchen diese Beständigkeit, daran können sie sich orientieren. Mit dem Gendern dagegen, da geht etwas durcheinander, da kommt man nicht mehr hinterher und das macht dann auch ein bisschen Angst.

«Haben wir keine wichtigeren Probleme?» ist ein Satz, den man von Gender-Gegnern oft hört.
Da kommt mir immer in den Sinn: Ja, wenn dem so ist, dann verstehe ich nicht, warum diese Personen sich an diesem Gender-Thema so abarbeiten und ihre wertvolle Energie und Zeit in ein Ach-so-unwichtiges-Thema stecken. Anstatt, dass sie diesen Zorn, den sie haben, in eine von diesen wichtigen Sachen – von denen sie reden, aber nie benennen – investieren.

Im Moment sind es zwei Lager: Diejenigen, die sie gerade eben beschrieben haben und die Anderen, die sich bemühen, die Sprache zeitgenössisch anzupassen. Wann hören diese Grabenkämpfe auf?
Dieser ‹Sprachkrieg› wird nicht aufhören, solange dieser gesellschaftliche Krieg auch noch da ist. Solange man immer noch diese Extreme hat wie Links und Rechts oder Feminismus gegen Patriachat. Das mit der Sprache ist einfach ein kleines Schlachtfeld auf einem großen. Und da Sprache eine wichtige Waffe ist, wird dies immer auch an der Sprache hängen bleiben. Was ich sehe, ist, dass man diesen Zwist nicht in näherer Zeit beilegen kann.

Bitte, helfen Sie uns: Wie wird die Sprache der Zukunft sein?
Da ist vieles denkbar. Ich sage oft, am einfachsten wäre es dahinzukommen, dass wir uns ein bisschen losgelöster von diesen Geschlechtern sehen. Es ist nun mal so, dass das Geschlecht, das wichtigste Merkmal ist. Es kommt noch vor der Nationalität oder sonst irgendwas. Unsere Gesellschaft ist ganz auf dieses biologische Konstrukt Weiblich-Männlich fixiert und intepretiert in dieses Konstrukt auch eine bestimmte Verhaltensweise. Deswegen existiert ja die Sprache so, wie sie ist.

Eine Sprache, in der Frauen nicht angesprochen werden…
Viele behaupten ja, dass im generischen Maskulin das Weibliche einbezogen ist. Was nicht stimmt. Dieses generische Maskulin, das existiert seit vielen tausend Jahren, und da sollten Frauen nicht mitangesprochen werden. Da hatten Frauen keine Berufe oder irgendetwas. Deswegen, die Sprache der Zukunft wäre natürlich am einfachsten, wenn sie sich losgelöst von irgendwelchen Geschlechtern entwickeln könnte, mit neutralen Endungen. Diese Formulierungen mit dem Partizip eins ist eine schöne Lösung: Studierende, Arbeitende …

Eine letzte Frage: Frau Olschewski, haben Sie eigentlich immer Recht?
Ich vielleicht nicht immer, aber die Frau Müller schon. ♦

 


Susanne Olschewski ist Kolumnistin bei Tentakel. Kommenden Freitag erscheint ihre erste Kolumne «Frau Müller, she knows».

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