Mensch. Gesellschaft. Meer.

Funkspruch von Planet Erde #5

Ein Galaxie-Novum!

In seinem fünften Funkspruch berichtet Gonso von seiner Erforschung der irdischen Jahreszeiten. Dabei gewinnt er nicht nur bahnbrechende Erkenntnisse über die labile körperliche Kondition der Erdbewohner, sondern stößt auch auf Hinweise zu höchst widersinnigem menschlichem Verhalten.

24. Juli 2023. Seit dem letzten Funkspruch habe ich viel Zeit damit verbracht, die Bewegungen und Drehungen des blauen Planeten zu studieren – denn mir ist aufgefallen, dass sie große Auswirkungen auf die Menschen und auf die Vegetation der Erde haben. Hier spricht man von den so genannten «Jahreszeiten» (die sich allerdings je nach Erdteil unterscheiden).

Inzwischen habe ich herausgefunden, dass diese Veränderungen in erster Linie mit der unstabilen Entfernung zum Mittelstern des hiesigen Sonnensystems zusammenhängen, der hier «Sonne» genannt wird. (Randnotiz: Die Menschen unterscheiden zwischen den «Sternen», die sie am Nachthimmel leuchten sehen, und ihrem eigenen Stern – eben der Sonne. Von dieser glauben sie offenbar, dass sie irgendwie anders und bedeutsamer ist als die anderen Sterne, womöglich sogar einzigartig. Und zwar, obwohl allgemein bekannt ist, dass die Sonne eigentlich ein Stern wie jeder andere ist, und dass es allein in der Milchstraße mehr als hundert Milliarden Sterne gibt – welche teilweise genau wie die Sonne von Planeten umkreist werden.)

Meine Recherchen haben jedoch ergeben, dass die Obsession mit der Sonne – die bereits auf sehr frühe Stadien der menschlichen Entwicklung zurückgeht – einen guten Grund hat. Die elliptische Bahn, die der blaue Ball um ihren Mittelstern zieht, sorgt unter anderem für Temperatur-Schwankungen, die allerdings für mein Empfinden so minim sind, dass ich sie gar nicht wahrnehme. So fällt es mir auch schwer, mich so richtig in dieses Forschungsfeld einzuarbeiten – doch diese Herausforderung hat mich umso mehr angestachelt.

Wie ist es möglich, dass die Menschen bis heute überlebt haben?

Ich habe herausgefunden, dass die Körper der Erdbewohner so labil sind, dass sich auch geringe Temperaturschwankungen tödlich auswirken können. Das Spektrum, das der Mensch ohne zusätzliche Hilfsmittel erträgt, umfasst nur ein paar Hundertstel von Galaxie-Thermoeinheiten (in menschlichen Maßeinheiten: ca. 50 Grad Celsius).

Als ich zum ersten Mal auf diese Befunde gestoßen bin, war mein Forschungseifer geweckt. Was für eine Entdeckung! Wesen, die so empfindlich auf äußere Einflüsse reagieren, dass sie sofort sterben würden, wenn ihr Planet ein bisschen näher bei der Sonne oder ein bisschen weiter weg wäre, oder wenn sich die Zusammensetzung der Gase in ihrer Atmosphäre ein wenig verändern würde: Das ist eine bahnbrechende Entdeckung in der Galaxienforschung. (Recherchieren: Wie ist es möglich, dass die Menschen trotz dieser prekären Kondition bis heute überlebt haben?)

Auf der anderen Seite ist die extreme Thermostabilität des blauen Planeten ein echtes Galaxie-Novum. Wenn man bedenkt, dass auf dem Planeten Merkur – der nur 75 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist – die Temperaturen bei jeder seiner Umdrehungen um eine halbe Galaxie-Thermoeinheit (ca. 600 Grad Celsius) schwankt … und dass selbst dies im Vergleich zu unserem Heimatplaneten als große Thermostabilität bezeichnet werden darf. Dieser Funkspruch muss als Eilmeldung verschickt werden – meine Erkenntnisse in diesem Feld könnten meinen Durchbruch als Forscher darstellen!

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Doch Wärme und Kälte haben nicht nur Auswirkungen auf die Menschen, sondern auch auf andere Lebensformen auf der Erde. Es ist faszinierend, wie sich das Aussehen von ganzen Landschaften verwandelt, wenn sich der Planet um die Sonne bewegt. In bestimmten Zyklen verändern die großen Pflanzen ihre Farbe und verlieren die gesamte Behaarung, um dann wieder neu zu ergrünen. Kleine Pflanzen ziehen sich vollkommen ins Erdinnere zurück und brechen später wieder durch den Boden.

In derselben Regelmäßigkeit verändern die Menschen ihr Verhalten – und zwar in großen Kollektiven, so dass nicht von individuellem Verhalten gesprochen werden kann. So gibt es eine «Jahreszeit», die Winter heißt und in der die Menschen sich hauptsächlich im Inneren ihrer Behausungen aufhalten. Wenn sie nach draußen gehen, wickeln sie mehrere Stoffschichten um den ganzen Körper, sogar um die Füße. Im «Sommer» dagegen halten sie sich gern draußen auf und zeigen sich fast in ihrem natürlichen Zustand – wobei es praktisch nie vorkommt, dass man die Erdbewohner gänzlich unverhüllt sehen kann. (Recherchieren: Wozu dienen die verschiedenen Farben und Formen der Hüllen, die hier «Kleidung» genannt werden? Verschiedene Beobachtungen legen den Schluss nah, dass deren immense Wichtigkeit sich nicht nur auf die Funktionalität des Warmhaltens beschränkt.)

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Zurzeit ist die Temperaturforschung besonders interessant, da offenbar ein Limit erreicht wurde, das für die Erdbewohner an der Grenze des Erträglichen liegt – zumindest in dem Erdteil, in dem ich mich gerade aufhalte. Ihr Organismus wird verlangsamt, und sie klagen über Beschwerden und einen Abfall ihres Energieniveaus. Trotzdem – und in diesem Punkt bin ich noch zu keiner schlüssigen Erklärung gekommen – bewegen sie sich gerade zu dieser «heißen Jahreszeit» viel ausgeprägter. Nicht nur innerhalb ihrer gewohnten Umgebung, sondern auch zwischen den verschiedenen Erdteilen. Der «Sommer», so sagen sie hier, ist «die Reisezeit» oder «die Ferienzeit» (genaue Bedeutung dieser Begriffe recherchieren) – und auch in diesem Fall ist die kollektive Verhaltensänderung evident.

Konkret sieht das so aus, dass die Erdbewohner in Metallkapseln in unzähligen linienförmigen Bewegungen rund um den blauen Ball düsen. Offenbar handelt es sich dabei um eine Aktivität von hoher Wichtigkeit, wenn es um die Rangordnung in den menschlichen Kollektiven geht. Je mehr sich jemand auf der Erde hin und her bewegt, desto mehr Ansehen genießt er. Es ist mir noch nicht klar, weshalb das so ist, doch ich habe gesehen, dass viele in ihren Behausungen einen illustrierten Plan aufhängen, auf dem die Welt – skizzenhaft und unzulänglich – abgebildet ist. Auf diesem Plan wird verzeichnet, welche Erdteile der Mensch bereits besucht hat. Doch dabei geht es nicht darum, einen Ort tatsächlich erforscht oder ein tieferes Verständnis für seine kulturellen oder spirituellen Schätze zu entwickeln. Nein, es geht einzig und allein darum, einen Fuß ins Gelände gesetzt zu haben – auch wenn die Reise nur einen Tag gedauert hat.

So widersinnig kann sich wohl kein Wesen in der Galaxie verhalten.

Hier wird das Ganze etwas konfus, und ich habe noch eine Menge Recherchearbeit vor mir. Denn meine bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass diese hektischen Bewegungen rund um den Erdball äußerst schädlich sind. Es heißt sogar, dass sie mitverantwortlich für die langsame Zerstörung des Planeten sind. Vielleicht sind die illustrierten Diagramme in Wirklichkeit eine Art Schuldenverzeichnis, in das eingetragen wird, wie viel negative Energie jemand verursacht hat? (Recherchieren: Werden diese Schulden sanktioniert und wenn ja wie?) Dass sie mit Stolz präsentiert und von anderen Erdbewohnern anerkennend kommentiert werden, entzieht sich aber jeglicher Logik. In diesem Punkt muss ich etwas missverstanden haben – so widersinnig kann sich schließlich kein Wesen in der Galaxie verhalten. ♦

Aufgezeichnet von Nicole Maron

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