Mensch. Gesellschaft. Meer.

Femme géniale #2

Fliegende Pionierin

Amelia Earhart hatte es nach weit oben gebracht, in jedem Sinne. Sie brach mit ihrem Flugzeug Rekorde sowohl im Höhen- als auch im Langstreckenflug. Sie wurde gefeiert, ebenso als Feministin. Als junge Frau entschied sie, selbst fliegen zu wollen und nie mehr damit aufzuhören. Also flog sie – bis sie im Pazifik verscholl.

Foto: CC BY-NC-SA 2.0

Es ist Juni 1937, sie startet in den USA, in Kalifornien, fliegt 32’000 Kilometer entlang des Äquators und überquert dabei fünf Kontinente. Es ist ein großes Abenteuer im Himmel. Was sie will? Die Welt umfliegen. In rund 30 Etappen.

Amelia Earhart erreicht die Ostspitze Neuguineas, die Stadt Lae. Es ist Anfang Juli. Nun steht ihr die längste und gefährlichste Etappe bevor: Sie muss 4100 Kilometer über die offene See fliegen, über den Pazifik, bis hin zur winzigen Howlandinsel, die mitten im Pazifik liegt. Die vollbetankte Electra, so der Name ihres Flugzeugs, hat Schwierigkeiten abzuheben. Sie schafft es kaum, am Ende der Rollbahn in die Luft zu gehen, und kommt dem Meer gefährlich nahe. Aber es klappt. Der Maschinenlärm ist ohrenbetäubend, die Abgase der Treibstofftanks nehmen Earhart fast den Atem.

Dann im Himmel: Der Gegenwind ist besonders stark, stärker als gewöhnlich. Die Electra verbraucht deswegen mehr Treibstoff als geplant. Nach sieben Stunden meldet sich Amelia Earhart per Funk und spricht von Anzeichen eines Problems. Nach 18 Stunden versucht sie die Howlandinsel anzusteuern. Sie verfehlt sie. Der Treibstoff geht allmählich zu Ende. Sie kreist über der Insel, kann sie wegen der stark blendenden Sonne nicht sehen. Sie funkt wieder mit dem Kutter der US-Küstenwache, der sich in der Nähe auf See befindet. Die Besatzung versucht die Pilotin zu lotsen. Schließlich: Die Matrosen empfangen einen letzten Funkspruch: « … Wir fliegen hin und her … » Die Stimme von Earhart ist voller Sorge. Dann: Funkstille. Für immer.

Wild und ungestüm

Wer ist diese Frau, die am 2. Juli 1937 – vier Wochen nach Beginn ihres großen Abenteuers – über dem Pazifik abstürzte? Die furchtlose Amelia Earhart ist im strengkonservativen und engstirnigen Kansan, im Mittelwesten der USA, 1897 auf die Welt gekommen. Wild und ungestüm war sie schon als kleines Mädchen. Und ihre Mutter, selbst für jene Zeit sehr emanzipiert, drängte die Tochter nicht in einen vorgegebenen Weg, ließ sie machen und zog ihr außerdem Hosen zum Spielen an. Die burschikose Amelia kletterte auf Bäume, kraxelte auf Berge, wühlte in der Erde nach Tieren.

Bei ihr zu Hause wurde also ein freies und unkonventionelles Leben geführt. Ansonsten aber verlief alles wie gehabt: Sie beendete die Highschool, arbeitete während des Ersten Weltkrieges als Militärkrankenschwester und danach fing sie an, Medizin zu studieren. Die Zeit an der Universität jedoch langweilte sie, sie mochte da nicht herumsitzen. Dazu sagte sie später: «Ich wollte etwas tun, nicht mich auf etwas vorbereiten.» Und so brach sie das Studium bereits nach einem Jahr ab.

Ein Tag sollte ihr Leben verändern: Es war Dezember 1920. Die 23-jährige Amelia ging mit ihrem Vater an eine Flugschau. Die Piloten ließen für ein wenig Geld Zuschauer mitfliegen. Amelia durfte. Und diese zehn Minuten veränderten alles. Als sie auf dem Rücksitz im Flugzeug da oben in der Luft saß, wusste sie, «dass ich fliegen musste». Und von da an machte sie alles, um das auch in Tat umzusetzen. Sie ging arbeiten, um das Geld für die Fluglizenz zusammenzubringen, nahm darauf bei einer anderen Frau Flugstunden, und etwa zwei Jahre später erwarb Amelia als 16. Frau weltweit ihre Fluglizenz.

Der effektivste Weg, etwas zu tun, ist, es zu tun.

Amelia Earhart war nicht zu bremsen: Sie wagte Flüge, die nur wenige Männer riskiert hätten, sie beherrschte ihr Handwerk als Pilotin sehr gut. So war sie die erste Frau, die im Flugzeug alleine den Atlantik überquert hatte, und sie war der erste Mensch überhaupt, der alleine von Hawaii zum US-Festland geflogen war.

Die Fliegerin war auch überzeugte Frauenrechtlerin. Gleichermaßen an Frauen und Männer appellierte sie, «die Frauen aus dem Käfig ihres Geschlechts herauszuholen». Gemeinsam mit vier weiteren Pilotinnen gründete sie 1929 den Club «Ninety Nines», Neunundneunzig. Als deren Vorsitzende vertrat sie die Interessen von 99 der 117 Pilotinnen, die damals in den USA einen Flugschein besaßen. Die Position der Frau in der Luftfahrt zu stärken, das war das Ziel dieses Clubs, der bis heute weltweit die größte Pilotinnenvereinigung ist. Und ihren steigenden Bekanntheitsgrad nutzte Earhart während dieser Zeit immer und überall, um sich grundsätzlich für die Gleichberechtigung der Frau einzusetzen.

Nun, bevor sie also das neue Abenteuer der Weltumrundung 1937 in Angriff nahm, war sie bereits eine der berühmtesten Frauen der Welt. Es wundert also nicht, dass die Menschen mitfieberten, während die 39-Jährige mit der Maschine Electra weit oben im Himmel durch die Wolken ratterte, um den nächsten Rekord zu brechen. Dass sie das versuchte, verwundert überhaupt nicht: «Was wissen Träume schon von Grenzen?» sagte Amelia Earhart. «Der effektivste Weg, etwas zu tun, ist, es zu tun.»

Doch das Flugzeug erreicht die Howlandinsel nie. Über ihr Verschwinden gibt es viele Theorien. Ihre Leiche und das Wrack versuchte man zu finden, noch Jahre danach. Die Frage, was mit ihr geschehen sein könnte, löste viele Spekulationen aus. Die offizielle Version der USA war, dass ihr der Sprit ausgegangen und sie im Meer abgestürzt sei. Es wurden auch viele Berechnungen angestellt, wo genau das sein könnte. Andere Theorien besagten, sie sei eine Spionin gewesen, sie sei in japanische Gefangenschaft geraten, nachdem sie es geschafft habe bruchzulanden und zu überleben. Später behauptete jemand in den USA Amelia Earthart gefunden zu haben, in New Jersey. Er hatte das junge Gesicht der Pilotin auf Fotos verglichen mit dem Gesicht der Hausfrau Irene Bolam. Er beteuerte es sei die gealterte Earhart, die untergetaucht sei, wohl um ein normales Leben zu führen. Obwohl Bolam zahlreiche Male versicherte, sie sei nicht Earhart, glaubte man ihr kaum.

Überreste und Kokosnusskrabben

Ist es heute still um Amelia Earhart geworden? Nein. Das Rätsel um die Flugpionierin hält die Welt weiter in Atem. Vor drei Jahren – 2018 – teilte der forensische US-Anthropologe Richard L. Jantz der Universität Tennessee mit, Earhart habe den Absturz überlebt und sich auf eine kleine Insel gerettet. Grundlage für seine These lieferten Knochen, die auf der japanischen Insel Nikumaroro entdeckt worden waren. Gefunden wurden die Knochen bereits 1940. Und nebst den Knochen stiess man damals unter anderem auch auf einen Frauenschuh.

1941 wurden die Knochen untersucht, der Zuständige identifizierte allerdings die Überreste als männlich und versicherte, dass es sich nicht um jene von Earthart handeln. Plötzlich verschwanden die Knochen. Was aber blieb, waren Dokumente mit den genauen Massangaben, die damals der Mediziner festhielt. Jantz verglich alle alten Dokumente und Masse, die er in Bezug auf Earhart fand. Und er kam zum Ergebnis: Die Vermutung, dass es ein männliches Skelett war, ist falsch. Und: Mit 99-prozentiger Sicherheit handelt es sich um Knochen von Amelia Earhart.

Dieses Mal spricht viel dafür, dass die Theorie, Amelia Earhart habe überlebt, doch zutrifft. Auf der Insel aber, wo man die Knochen fand, lebte keine Menschenseele. Und es gab keine Süßwasserquelle. Man muss also davon ausgehen, dass sie dort verdurstete. Ein weiterer schauriger Aspekt ist die Tatsache, dass es dort riesige Krabben gibt, die über vier Kilogramm schwer werden können und Scheren besitzen von fast einem Meter Spannbreite. Da man wenige Knochen von Earhart fand, geht man davon aus, dass die Kokosnusskrabben Amelia Earharts Leiche zerteilt haben.

Vor dem letzten Abenteuer hatte die Pilotin, Feministin, Frauenrechtlerin und Ehefrau ihrem Mann noch einen Brief verfasst – für den Fall, dass ihr etwas passieren sollte: «Sei gewiss, ich bin mir der Gefahren durchaus bewusst. Ich will es tun, weil ich es tun will. Genau wie Männer sollten auch Frauen versuchen, das Unmögliche zu erreichen. Und wenn sie versagen, sollte ihr Versagen eine Herausforderung für alle anderen sein.» ♦

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