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«Ich hätte gern selbst Tore geschossen»

Heute beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Australien und Neuseeland. Die deutsch-australische Stürmerin Anna Margraf freut sich, dass der Frauenfußball in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Doch die Gehälter der meisten Profispielerinnen sind immer noch so tief, dass sie auf Nebenjobs angewiesen sind.

Foto: Joshua Hoehne

Anna Margraf ist eine junge, vielversprechende Stürmerin. Wäre sie ein Mann, würde sie wahrscheinlich schon bald Millionen verdienen. Doch selbst als sie in der deutschen Bundesliga spielte, wohnte sie in einer WG –  denn die Gehälter in der Branche liegen unter dem Einkommensdurchschnitt der Bundesrepublik.

Zurzeit verbringt Margraf Heimaturlaub in Australien und besucht Familie und Freunde. Während einige ihrer Kolleginnen aus der Bundesliga bei den Frauen-Weltmeisterschaften kicken, verfolgt die 22-Jährige das Großereignis als Zuschauerin. Sie fiebert dem Event entgegen, auch wenn sie sagt: «Ich hätte dabei natürlich lieber selbst Tore geschossen.»

Weil ihre älteren Brüder Fußball spielten, verbrachte Margraf seit ihrer Kindheit viel Zeit auf dem Fußballplatz. Bis zu ihrem 14. Lebensjahr trainierte sie ausschließlich mit Jungs. Dann wurde sie für eine Auswahl des Bundesstaates Queensland gescoutet. Die Familie erkannte das Potential der Tochter und zog von Alstonville in New South Wales nach Brisbane, in den «Urlaubstaat» Queensland. Dort unterzeichnete Margraf mit 17 ihren ersten Profivertrag bei «Brisbane Roar».

Margraf wurde in Deutschland geboren, doch als sie drei Jahre alt war, wanderte ihre Familie nach Australien aus. Ihr Vater hatte dort einen Job als Mediziner angenommen. Auch wenn Australien zu ihrer echten Heimat geworden ist und sie sich durch und durch als «Aussie» fühlt, war es immer ihr Traum gewesen, einmal in der deutschen Bundesliga zu spielen – einer der Top-Ligen der Welt. Im März 2020 schien dieser Traum näherzurücken: Margraf wurde zu einem Probetraining ins baden-württembergische Hoffenheim eingeladen. Doch dann kam Corona. Die Stürmerin blieb in Australien, und ihr Traum rückte in den Hintergrund. Bis letztes Jahr, als der Fußballclub SV Meppen auf sie aufmerksam wurde und sie für eine Saison anwarb, die vor kurzem zu Ende gegangen ist.

Wiesen statt Schnorchelparadies

Der Transfer nach Deutschland war allerdings ein kleiner Kulturschock gewesen. 10‘000 Meilen von der Heimat entfernt zu leben, ist nicht immer einfach. «Es ist schon vieles anders», gibt Margraf zu, die letztes Jahr Kängurus gegen Kühe tauschte. Die niedersächsische Kleinstadt Meppen mit ihren 30‘000 Einwohnern bietet nicht die gleichen Möglichkeiten wie die australische 2-Millionen-Stadt Brisbane, in der Margraf die letzten Jahre gelebt hat. «Aber der wenige Verkehr und die malerische Landschaft haben auch ihren Reiz – ich fand die Ruhe manchmal wirklich friedlich.»

Vom Fenster ihres WG-Zimmers aus blickte sie auf schottische Hochlandrinder, und mit ihren Teamkolleginnen erkundete sie die schönsten Ecken des Schwarzwaldes. Trotzdem: Zu Hause in Australien war sie innerhalb von einer Stunde an den berühmtesten Stränden der Welt oder im Schnorchelparadies Great Barrier Reef. Das vermisste sie in Deutschland – und dennoch wollte sie gern zurückkommen, um weiterhin in der Bundesliga zu spielen. Da sie nur einen Vertrag über eine Saison unterschrieben hatte und die Zukunft unklar war, waren ihre Ferien in Australien von Unsicherheit geprägt – bis sie einen neuen Vertrag bei einer europäischen Mannschaft unterzeichnete. Wohin dieser sie führt, ist noch nicht offiziell bekanntgegeben.

Im blauen Trikot: Margraf im Spiel gegen den FC Bayern München. Foto: Jörn Hesl

Weltweit erlebt der Frauen-Fußball seit einigen Jahren einen Boom. Immerhin feierten dieses Jahr die Frauen- und die Männermannschaft des FC Bayern München ihren Meistertitel gemeinsam auf dem Münchner Rathausplatz – vor einigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Finanziell steht es um die weiblichen Profi-Spielerinnen jedoch noch ganz anders als um die männlichen. «Leider müssen die meisten Spielerinnen, selbst in den Top-Ligen der Welt, einen Nebenjob haben, um ein komfortables Leben zu führen», sagt Anna Margraf.

Ihre Kollegin, die deutsche Nationalspielerin Lina Magull, setzt sich seit längerem für höhere Gehälter im Frauenfußball ein. «Wir sollten ab der zweiten Liga so gut verdienen, dass niemand mehr nebenbei arbeiten gehen muss», sagte sie gegenüber der Bild-Zeitung. Dabei fordert sie nur ein Mindestgehalt von 2000 bis 3000 Euro pro Monat – und keine Millionenbeträge, wie das bei den Männern üblich ist. Mit einem solchen bescheidenen Mindestgehalt könnte man die Entwicklung im Frauenfußball nachhaltig voranbringen, so Magull. Denn dadurch könnten alle – und nicht nur die Nationalspielerinnen – ihren  Sport professionell ausüben.

Die Mitglieder der Frauen-Nationalmannschaft verdienen rund 44‘000 Euro pro Jahr.

Das Durchschnittsgehalt der Profi-Fußballerinnen liegt sogar unter dem durchschnittlichen Einkommen der Bundesrepublik – und dies selbst nachdem die Prämien für Länderspiele angehoben wurden. Laut Statistik verdienen die Mitglieder der Frauen-Nationalmannschaft rund 44‘000 Euro pro Jahr – bei den Männern sind es 10,2 Millionen. Das deutsche Durchschnittsgehalt liegt bei knapp 55‘000 Euro.

Die Frauen-WM: mehr als großartig

«Ich wünsche mir, dass die WM in Australien etwas verändern wird», sagt Margraf. «Hier explodiert die Begeisterung für den Frauenfußball gerade, und das ist auch gut so. Ich erhoffe mir davon, dass der Frauenfußball allgemein mehr Aufmerksamkeit erhält. » Beyond Greatness – «wahrhaftig gross» – lautet der Slogan für die Frauen-Weltmeisterschaft. Das zeigt, welchen Anspruch die Australier haben. Wegen der hohen Ticketnachfrage wurde das Auftaktspiel zwischen Australien und Irland am 20. Juli ins ehemalige Olympiastadion von Sydney verlegt. Die größte Spielstätte der WM – das Stadium Australia – verfügt über eine Kapazität von 83‘500 Zuschauerinnen und Zuschauer. Die meisten Spiele der WM sind ausverkauft – bis vor einigen Jahren, so Margraf, sei das noch undenkbar für Frauenfußball gewesen.

Anna Margraf macht kein Geheimnis daraus, dass sie den Matildas – wie das australische Nationalteam genannt wird – die Daumen drückt. Für dieses Team würde sie selbst gern einmal spielen. Gut möglich, dass sie das sogar noch schafft – vielleicht sogar bei den Olympischen Spielen, die 2032 in Brisbane stattfinden werden, der Stadt, in der sie ihren ersten Profivertrag unterschrieben hatte.

Und wie schätzt Margraf die Chancen ihres Lieblingsteams bei dieser WM ein? Sie lacht. «Es ist ein sehr fleißiges Team, das bei den Spielen von einer ganz besonderen Einstellung getragen wird. Der Zusammenhalt der Spielerinnen ist sehr stark, und sie werden definitiv den Heimvorteil nutzen.» Man solle die Australierinnen nicht unterschätzen, rät Margraf mit einem Lächeln. Derweil bleibt abzuwarten, wie sich der Frauenfußball in den nächsten Jahren entwickelt. Von Ferraris, Designeruhren und hochdotierten Werbeverträgen sind die Frauen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen noch so weit entfernt wie Meppen von Brisbane. ♦

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