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Ernährung

Gemeinsam gegens Gammeln

Die Verschwendung von Lebensmitteln ist nach wie vor ein großes Problem. Nicht nur in der Industrie, sondern auch in Privathaushalten. Dagegen geht Madame Frigo seit 2014 vor – mit über hundert Kühlschränken für Lebensmittel-Austausch in der ganzen Schweiz.

Vor den Ferien waren noch ein paar Bananen und ein halbes Brot übrig. Die Mutter wohnt zu weit weg, mit den Nachbarn gibt es wenig Kontakt, und in den Abfall sollen die Lebensmittel auch nicht. Für dieses Problem hat eine ganz besondere Frau die perfekte Lösung. Sie heißt Madame Frigo und steht an über 100 Straßenecken, in Parks oder Innenhöfen in der ganzen Schweiz. In Form von Kühlschränken, die als Tauschplattformen von Lebensmitteln dienen. Jeder kann Essen, das noch genießbar ist, in einem der Kühlschränke deponieren und sich umgekehrt bedienen. Gratis, rund um die Uhr, ohne Anmeldung oder Passwort. Das Konzept ist simpel: Bring, was du selber nicht mehr brauchst, und hol dir, was zuhause gerade noch gefehlt hat.

Jedes Jahr werden mehr als 150 Tonnen Lebensmittel gerettet.

Gammeln war früher, jetzt wird gehandelt – so das Motto von Madame Frigo, die es sich zum Ziel gemacht hat, pragmatisch gegen Food Waste vorzugehen. Unter Food Waste versteht man die Verschwendung aller Lebensmittel, die auf dem Weg vom Feld bis zum Teller verloren gehen oder weggeworfen werden. Zum Beispiel Gemüse, das zu krumm ist, aber auch Nahrungsmittel, die in Lagerhallen oder während des Transports verderben. Doch die Verschwendung von Lebensmitteln ist längst nicht nur ein Problem der Industrie. In der Schweiz gehen 28 Prozent von allem Food Waste aufs Konto von Privathaushalten. Im Schnitt verschwendet jeder neunzig Kilo Lebensmittel pro Jahr und wirft damit mehr als 600 Franken in die Tonne. Ganz abgesehen davon, dass damit 1,6 Millionen Tonnen Treibhausgase erzeugt werden.

Hier setzt Madame Frigo an – und zwar mit Erfolg. «Im Jahr 2021 konnten wir mehr als 150 Tonnen Lebensmittel vor der voreiligen Entsorgung retten», sagt Marlen Stocker, die bei Madame Frigo für die Betreuung und Unterstützung der Standorte zuständig ist. «Letztes Jahr waren es noch mehr, die genauen Zahlen liegen aber noch nicht vor.»

Leere Kühlschränke = erfolgreicher Essensaustausch

Entstanden ist Madame Frigo vor neun Jahren, als sich vier Studentinnen in Bern zusammenschlossen und den ersten öffentlichen Kühlschrank aufstellten. Sie gründeten einen gemeinnützigen Verein, der über Spenden und Sponsoring sowie durch verschiedene Partner finanziert wird – unter anderem durch den Haushaltsgeräte-Hersteller Electrolux, der dem Verein Kühlschränke zur Verfügung stellt.

Das Projekt fand schnell Anklang, und seit 2018 gibt es immer mehr Standorte in der ganzen Schweiz. Möglich machens 400 freiwillige Helferinnen und Helfer. Dabei wird das Projekt nicht von den Gründerinnen gesteuert, sondern wächst organisch. «Grundsätzlich unterstützen wir die Entstehung neuer Standorte nur passiv», sagt Marlen Stocker, die bei Madame Frigo für die Betreuung und Unterstützung der Standort-Verantwortlichen zuständig ist. «Das heißt: Die Initiative, einen öffentlichen Kühlschrank aufzustellen, kommt von Privatpersonen, von Gemeinden oder von Institutionen, die auf uns zukommen.» Madame Frigo stellt den Kühlschrank zur Verfügung, unterstützt mit Kommunikationsmaterial und klärt Rechtliches ab.

Oft sind die Kühlschränke leer oder fast leer. Doch das bedeutet nicht, dass der Essenstausch nicht läuft, betont Marlen Stocker. «Gerade in Zürich und Bern wissen wir, dass die Kühlschränke rege genutzt werden, da sie auch von Lebensmittelgeschäften regelmäßig gefüllt werden. Doch wenn ein Frigo mal bekannt ist, sind die Lebensmittel jeweils schnell wieder weg.» Das Hauptziel des Projekts – Food Waste zu reduzieren – ist damit erreicht. Und die Expansion von Madame Frigo ist längst nicht abgeschlossen: Es sind noch diverse Anfragen für neue Standorte pendent. ♦

www.madamefrigo.ch 

 

Öffentliche Kühlschränke in Deutschland und Österreich

Ähnliche Initiativen gibt es auch in anderen Ländern. In Deutschland bietet zum Beispiel die Website foodsharing.de eine Übersicht über öffentliche Kühlschränke im ganzen Land. Parallel dazu informiert die Seite foodsharing.at über Kühlschränke in Wien. Andere Orte in Österreich deckt etwa offener-kuehlschrank.at ab.

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