Mensch. Gesellschaft. Meer.

Künstliche Intelligenz

Unter der Vormundschaft der Roboter

Die Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und gefährdet Grundprinzipien der Gesellschaft, etwa die individuelle Freiheit und die Demokratie. Wichtig ist in der Debatte um die Künstliche Intelligenz der Einbezug von ethischen Fragen.

Illustration: Geralt

In der ersten Märzwoche kündigte Axel Springer, Deutschlands größte Zeitungsgruppe und Herausgeber der Zeitungen «Bild» und «Die Welt», einen erheblichen Stellenabbau an. Die Umstrukturierung, die bis Ende dieses Jahres erfolgen soll, ist nach Angaben von Springer durch die neuesten Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie motiviert. In einem Brief erklärt Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Springer, dass «künstliche Intelligenz den Journalismus und die Medienindustrie revolutionieren wird», da sie verschiedene Tätigkeiten des Berufsstands ersetzen kann.

Vollkommener als der Mensch

Internet-Suchmaschinen, automatische Rasenmäher, Entfernungsrechner und Wechselkursrechner, Online-Übersetzer, Audio-Assistenten, fahrerlose Autos und Operationsroboter – all diese technologischen Hilfsmittel sind dank der Künstlichen Intelligenz auf dem Vormarsch. Diese kombiniert verschiedene Algorithmen und schafft dadurch Instrumente, die die gleichen oder sogar bessere Fähigkeiten haben als der Mensch. Doch es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die neuen Technologien auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft haben. Wie Adrien Tallent, Philosoph und Ethiker an der Pariser Universität Sorbonne feststellt, wird die Künstliche Intelligenz in bestimmten Fällen mit «unfehlbaren Werkzeugen gleichgesetzt, die von großem Wert für die Erledigung bestimmter Aufgaben sind und sogar Verantwortung übernehmen können».

Tallent betont jedoch, dass die massive Sammlung von Daten und die weit verbreitete Nutzung von Algorithmen auch eine Bedrohung für die Gesellschaft und die Demokratie darstellen können. Denn die Nutzer geben im Austausch für eine – fast immer kostenlose – Dienstleistung bewusst oder unbewusst einen Teil ihrer Entscheidungsbefugnis ab.

Menschen werden im Vergleich mit der Künstlichen Intelligenz als fehlbar dargestellt.

Die westlichen Gesellschaften sind laut Tallent die Erben der wissenschaftlichen und philosophischen Revolution des 17. Jahrhunderts, die um die Begriffe Freiheit und Fortschritt herum aufgebaut wurden. Doch dabei wurde eine gewisse Harmonie zwischen menschlicher Emanzipation und technischer Entwicklung respektiert. Man könnte die Abgabe von verschiedenen Tätigkeiten an eine Künstliche Intelligenz zwar durchaus als höchst vernünftig betrachten. Doch das Problem bei dieser Auffassung ist, dass sie den Menschen im Vergleich mit der als unfehlbar geltenden Künstlichen Intelligenz als fehlbar darstellt.

Fake News und Überwachungskapitalismus

Ein anderes Problem besteht darin, dass zum Beispiel in den Sozialen Medien Inhalte zu dominieren beginnen, die unseren Vorstellungen und Wünschen entsprechen, und es entsprechend an alternativen Meinungen fehlt. Dadurch verbreiten sich Fake News leichter, mit dem Ergebnis, dass wir immer weniger gemeinsame Wahrheiten und Erfahrungen teilen, die für das Funktionieren einer Demokratie notwendig sind.

Durch die Analyse unserer persönlichen Daten, die fürs Funktionieren der Künstlichen Intelligenz nötig ist, wird das herrschende System zu einem «Überwachungskapitalismus», wie es die amerikanische Soziologin Shoshana Zuboff ausdrückt. Laut Zuboff ist der Einzelne für die Unternehmen kein Kunde mehr, sondern nur noch ein Objekt für Werbetreibende. Tallent betont: «Die Tatsache, dass wir solch gezielter Werbung ausgesetzt sind, kann dazu führen, dass wir an unseren eigenen Wünschen zweifeln. Wir wissen nicht mehr, ob wir den Gegenstand, den wir gekauft haben, wirklich wollten oder ob wir ihn gekauft haben, weil er uns vorher gezeigt wurde. Unser Begehren ist automatisiert.»

Mit dem technischen Fortschritt haben sich die Menschen an ein Umfeld gewöhnt, in dem das Streben nach Bequemlichkeit, Schnelligkeit und Unterhaltung dominiert. Dies begünstigt die Aufrechterhaltung invasiver technischer Systeme, und zwar zum Nachteil bestimmter Grundfreiheiten wie das Recht auf Privatsphäre, Anonymität oder die Unabhängigkeit des Denkens, die die Garantien unserer demokratischen Gesellschaften sind.

Wer kontrolliert wen?

Die Schweizer Medien-Gewerkschaft Syndicom befasst sich bereits seit Jahren mit dem Thema Künstliche Intelligenz. 2020 legte sie eine Reihe von Leitprinzipien vor, um den verantwortungsvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu konzipieren und zu fördern. Ihre Grundthese lautet: «In einer digitalen Welt, in der Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch ist, muss jeder Einzelne frei und selbstbestimmt entscheiden können, wo und in welchem Umfang er sich auf die Technik verlässt und in welchen Fällen er selbständig und ohne die Hilfe der Technik handelt.» Die Gewerkschaft ist überzeugt, dass das große Potenzial der Künstlichen Intelligenz nur dann ausgeschöpft werden kann, wenn sie an unsere Bedürfnisse angepasst und von der Gesellschaft akzeptiert wird.

Dies müsse jedoch innerhalb eines frei gewählten Rahmens geschehen, der ethisch und rechtlich korrekt sei. Der Mensch müsse seine Souveränität bewahren, sprich seinen Platz einnehmen und sich gegenüber den Maschinen und ihren Produkten durchsetzen. So ist es für Syndicom unabdingbar, ethische Fragen in die Entwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz einzubeziehen.

Ein solcher Wandel muss – durch Umverteilung und Bemühungen um Gleichstellung – die Situation möglichst vieler Menschen verbessern. Produktivitätsgewinne durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz müssen nachhaltig zum Nutzen der Menschen reinvestiert werden. Denn das Wirtschaftssystem zielt darauf ab, mit so wenigen Arbeitnehmern wie möglich zu arbeiten.

Schlussendich ist die zentrale Frage, wer in dieser komplexen Beziehung zwischen Robotern und Menschen wen kontrolliert – und wie verhindert werden kann, dass das Individuum unter die Vormundschaft der Künstlichen Intelligenz gerät.

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