Mensch. Gesellschaft. Meer.

Yoga ist ein Arschloch #1

Werd nicht seltsam!

Was kann Yoga besser als Fußball oder Skifahren? Ist es überhaupt ein Sport? Können auch ungelenkige Menschen Yoga machen, und darf ein Yogi Fleisch essen? In ihrem Buch «Yoga ist ein Arschloch» räumt Christine Bielecki mit Klischees auf – mit Humor und viel Liebe. Schließlich ist sie selbst Yogalehrerin.

Illustration: cindynhiart

2014 berichtete der oscargekrönte Schauspieler Christoph Waltz in einem Gespräch mit Spiegel Online, er halte Yoga für schädlich. Von einer befreundeten Orthopädin habe er gehört, dass es mittlerweile mehr Yoga- als Skiverletzungen gebe. Damit sorgte Waltz wahrscheinlich für schmerzverzerrte Gesichter bei ungefähr 20‘000 deutschsprachigen Yogalehrerinnen und Yogalehrern. Christoph Waltz ist ohne Frage ein toller Schauspieler. Doch zwei Oscars machen noch keinen Bewegungsexperten. So einfach ist es nämlich nicht. Oder doch?

Sport ist Mord, das ist ein schöner Spruch, der hin und wieder leider zutrifft. Aber zu sagen, Yoga sei gefährlich, ist genauso richtig oder falsch wie zu behaupten, Fußball, Volleyball, Radfahren und Tischtennis seien schädlich. Letzteres sage ich aus Erfahrung: Als Fünfjährige bin ich beim Tischtennis mit der Stirn gegen die Kante der Tischtennisplatte gerannt. Platzwunde! Niemand hatte mir gesagt, dass ich die Tischtennisplatte überragen müsste, um gefahrlos spielen zu können. Verletzungen können passieren. Das ist klar. Gar nicht anfangen will ich von den gesundheitlichen Schäden, die Menschen davontragen, weil sie Dopingmittel zu sich nehmen – eine gar nicht so seltene Methode der Leistungssteigerung, und das nicht nur im professionalisierten Sport. So gesehen müssten Leibesübungen generell glatt verboten werden. Aber ist Yoga überhaupt Sport? Jetzt wird es erst richtig kompliziert!

Yoga in seiner ältesten Form ist eine philosophische Lehre. Die Asanas – also die verschiedenen Posen – die wir bei unserer Form des Yoga einnehmen, sind höchstens 100 Jahre alt. Manche davon sind nicht einmal im Rentenalter. Yoga hat sich zu etwas entwickelt, was man Sport nennen könnte. Und während Christoph Waltz’ Orthopädin dies vermutlich für bedenklich hält, ist es eigentlich doch grandios. Yoga – einer philosophischen Lehre – gelingt etwas, woran andere Fitnesskonzepte scheitern. Es erfindet sich immer wieder neu und schafft es so, immer mehr Leute zu begeistern.

Yoga kann vieles. Aber nicht alles.

Mit Yoga ist es nicht anders wie mit jedem anderen Sport auch. Gewichtheben zum Beispiel. Wer schon mal Langhantel-Training mit schweren Gewichten gemacht hat, weiß, dass die richtige Technik ausschlaggebend ist, um Verletzungen vorzubeugen. Die richtige Technik erlernt man aber nur mit Hilfe eines guten Trainers. Während das beim Gewichtheben jedem einleuchtet, machen sich beim Yoga offenbar nicht so viele Menschen darum Gedanken. Außerdem glauben viele sportliche Menschen, die noch nie Yoga geübt haben, sie seien locker in der Lage, einen Fortgeschrittenen-Kurs zu absolvieren. Davon ist aber abzuraten. Wer noch nie Yoga gemacht hat, ganz egal, ob er vor Kraft Bäume ausreißen kann, sollte die erste Stunde mit Bedacht wählen und ist gut beraten, wenn er sich dazu bekennt, Anfänger zu sein.

Trotz des nun schon langanhaltenden Booms ist Yoga für viele Europäer immer noch irgendwie befremdlich. Und daran ist Yoga zum Teil sogar selbst schuld. Während meiner Ausbildung zur Yogalehrerin war die erste Regel, die Ausbilderin Alanna Kaivalya uns mit auf den Weg gab: «Don’t get weird.» Auf gut Deutsch: Werd nicht seltsam. Lass deine Welt deine Welt bleiben. Erwarte keine Wunder von Yoga, und verschone diejenigen damit, die sich nicht dafür interessieren. Wie wichtig dieser Ratschlag ist, wird einem schnell bewusst, wenn man sich eine Weile im Dschungel von Yogabesessenen herumtreibt. Da gibt es tatsächlich Menschen, die erzählen, dass Frauen, die Yoga treiben, schmerzfreie Geburten erleben.

Alanna Kaivalya selbst ist der lebende Beweis dafür, dass man sich nicht verbiegen muss, um in eine Yoga-Box zu passen. Sie ist nicht die super durchtrainierte amerikanische Yoga-Fitness-Queen, die man so oft in Magazinen sieht. Und sie ist eine coole Sau. So legte sie sich mit dem CEO von Lululemon an, einer in eigenen Worten «Yoga-inspirierten Sportbekleidungsfirma», die dafür bekannt ist, Klamotten hauptsächlich für dünne Frauen zu konzipieren. Alanna Kaivalya nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie gibt gerne zu, dass sie auch heute noch, nach mehr als zwanzig Jahren Erfahrung als Yogalehrerin, manchmal irgendwie ein Arschloch ist. «Mach Yoga passend für dein Leben und nicht dein Leben passend für Yoga!» Das ist das Schöne: Yoga urteilt nicht. Yoga vollbringt keine Wunder. Die Wunder sind wir schon selbst. Yoga erinnert uns höchstens daran. Yoga kann vieles. Aber nicht alles. ♦

 

Lesen Sie nächste Woche Teil 2:
Warum Yoga für Männer mindestens so gut ist wie für Frauen


Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch «Yoga ist ein Arschloch. Warum es uns trotzdem so guttut» von Christine Bielecki. Verlag Die Werkstatt 2016. ISBN: 978-3-7307-0260-4

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