Mensch. Gesellschaft. Meer.

Serie «Recyclieren oder Resignieren» Teil 4

Murks? Nein danke!

Mixer, Autoreifen oder Handys, die absichtlich so gebaut werden, dass sie nach einer bestimmten Zeit kaputt gehen? Klingt nach einer Verschwörungstheorie – ist aber laut Stefan Schridde Realität. Der deutsche Diplom-Betriebswirt befasst sich seit Jahren mit der so genannten geplanten Obsoleszenz.

Foto: zvg

Wenn Konsumgüter absichtlich so produziert werden, dass sie eine beschränkte Lebensdauer haben, spricht man von geplanter Obsoleszenz. Der Begriff wurde das erste Mal von Bernhard London in den USA in den 1930er Jahren benutzt, als er vorschlug, die Kurzlebigkeit von Geräten gesetzlich zu verankern, um die Wirtschaft anzukurbeln. Heute haben Hersteller ganz verschiedene Strategien, um die Konsumentinnen und Konsumenten dazu zu bringen, ihre Produkte häufiger zu ersetzen. Einerseits sind Reparaturen teuer und manchmal auch gar nicht möglich. Anderseits werden viele Menschen durch das Überangebot, durch ständig neue Modelle und durch allgegenwärtige Werbung zum Kaufen verführt. Dies führt zu einem unnötig hohen Verschleiß von Ressourcen und hat eine Wegwerfmentalität zur Folge. Stefan Schridde, der sich selbst als «Lobbyist für Dauerhaftigkeit» bezeichnet, hat 2013 im Auftrag der deutschen Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Gutachten erstellt, das von verschiedenen Seiten in Frage gestellt wurde. Seither hat sich viel verändert: Die Existenz der geplanten Obsoleszenz wird kaum noch angezweifelt.

•••

Als Sie anfingen, über das Thema zu sprechen, wurden Sie als Verschwörungstheoretiker betrachtet. Inwiefern wurde die geplante Obsoleszenz inzwischen nachgewiesen?
Stefan Schridde: In der Studie von 2013 haben wir gezeigt, dass die geplante Obsoleszenz von den Unternehmen beabsichtigt ist. Das heißt, sie ist auf Entscheidungen der Hersteller zurückzuführen – und zwar nicht aus Kostengründen. Denn unter den gleichen Bedingungen könnten Geräte produziert werden, die mindestens drei Mal länger halten.

Wie genau sieht geplante Obsoleszenz aus?
Das ist ganz unterschiedlich. Zum Beispiel: Bei einem Handmixer kann ein Zahnrädchen nicht ersetzt werden, weil es fest verklebt ist statt verschraubt. Bei einer Tonerkartusche ist der Zähler auf 1400 Seiten eingestellt. Der Drucker meldet dann, dass die Patrone leer ist, aber in Wirklichkeit kann man den Zähler drei Mal auf Null zurücksetzen und insgesamt 5000 Seiten ausdrucken. Oder bei einem Monitor wird ein Kondensator an der heißesten Stelle eingebaut, so dass er schneller austrocknet. Natürlich gibt es kein Schriftstück, das beweist, dass diese Entscheidung mit Absicht getroffen wurde. Sondern der Hersteller sagt einfach, huch, das haben wir nicht gemerkt.

Ist dieses Vorgehen nicht strafbar?
Geplante Obsoleszenz ist in Europa fast überall noch erlaubt, doch als Tatbestand ist sie in den Köpfen angekommen. In Frankreich gilt geplante Obsoleszenz seit 2017 als Delikt, für das man mit bis zu zwei Jahren Gefängnis und 300’000 Euro Geldstrafe belangt werden kann. In Italien wurde der Technologie-Konzern Apple wegen geplanter Obsoleszenz verurteilt. Da dies in Italien kein strafrechtlicher Tatbestand ist, kam das Urteil aber auf Grund einer anderen Gesetzgebung zu Stande. Die EU verpflichtet Smartphone- und Tablet-Hersteller ab 2023 dazu, langlebigere Akkus zu verbauen und mindestens fünf Jahre lang Ersatzteile und Sicherheitsupdates bereitzustellen. In Deutschland gibt es Fälle, die man zur Klage bringen könnte, aber das wäre ein schwieriges Unterfangen. Doch im Gegensatz zu früher befassen sich viele Parteien mit dem Thema, sogar die CDU. Die hat auf europäischer Ebene initiiert, dass das Thema in den «Green New Deal» hineingenommen wurde.

Das Motto heißt: Hegen, Pflegen, Weitergeben.

Wie können wir uns der geplanten Obsoleszenz als Konsumentinnen und Konsumenten entziehen?
Man muss anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Alternative Einkaufsmöglichkeiten suchen. Ich habe mir zum Beispiel gerade wieder Möbel über E-Bay gekauft und dafür einen Klacks bezahlt. Statt zum Einzelhändler zum Flohmarkt gehen, oder Kleinanzeigen anschauen, Nachbarn und Freunde fragen. Statt eine neue Waschmaschine eine runderneuerte vom Profi vor Ort kaufen. Gebrauchte Bücher suchen, und so weiter. Doch das zentrale Motto heißt «Hegen, Pflegen, Weitergeben». Wenn Ihre Kaffeemaschine kaputt geht, haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie gehen eine halbe Stunde lang in ein Repair-Café und reparieren sie. Oder sie kaufen eine neue, was Sie vielleicht den Lohn von drei bis vier Arbeitsstunden kostet. Es lohnt sich also, in Haltbarkeit zu investieren.

Es haben aber nicht alle ein Repair-Café in der Nähe.
Genau daran arbeiten wir zurzeit im Verein Murks? Nein danke! Wir möchten ein Netzwerk für urbane Reparatur-Kultur aufbauen. In Berlin zum Beispiel gibt es zurzeit 42 Repair-Cafés, doch es wäre Platz für 200. Zentral ist vor allem auch die Vernetzung mit Schulen, Wohnbaugenossenschaften und Werkstätten. Wir brauchen moderne Städte, die sich runderneuern können. Das heißt, das Bestehende erhalten und pflegen, und ohne Zerstörung innovativ weiterentwickeln. Das stärkt auch die Wirtschaft vor Ort und bindet Kompetenz im urbanen Raum. Es ist noch viel Spielraum vorhanden, auch politisch. Das Umweltministerium könnte zum Beispiel eine umfassende Datenbank online stellen mit Informationen, wo welche Ersatzteile erhältlich sind. Diese Informationen werden in den Repair-Cafés wie geheimes Druidenwissen weitergegeben, weil sie nicht öffentlich verfügbar sind. Hersteller müssten verpflichtet werden, Reparaturanleitungen verständlich, kostenfrei und leicht verfügbar bereitzustellen. Die Konstruktionsdaten von Verschleißteilen sollten online  zur Verfügung gestellt werden, damit sie jeder mit einem 3D-Drucker ausdrucken kann. Und zwar ohne dass die Hersteller Rechte darauf erheben können.

Wenn man die Sachen trotz allem nicht selbst flicken kann: Soll man auf den Reparaturdienst der Hersteller zurückgreifen?
Die Reparatur-Debatte ist leider etwas abgedriftet. Hersteller und Händler sagen, okay, wir stellen Ersatzteile zur Verfügung. Doch auch Ersatzteile können geplanter Obsoleszenz unterliegen. Reparierbarkeit bedeutet noch lange nicht das Ende der geplanten Obsoleszenz. Wenn eine Reparatur teurer kommt als ein neues Gerät, spricht man von ökonomischer Obsoleszenz. Und als Hersteller ist man fein raus, weil man sagen kann: Der Kunde wollte ja nicht reparieren. Wir hätten es ermöglicht.

Gibt es auch positive Beispiele unter den Unternehmen?
Durchaus. Ich arbeite seit einiger Zeit mit verschiedenen Firmen aus der Reifenbranche zusammen. Zusammen wollen wir herausfinden, wo es klemmt. Marktführer Michelin hat 2017 gemahnt, dass die geplante Obsoleszenz in der Reifenbranche existiert, und hat gesagt: Da müssen wir was machen. In den letzten zwei Jahren ist ein Netzwerk entstanden, in dem viele Reifenleute mit dabei sind, Hersteller, Vertriebsleute und so weiter. Viele sind wirklich offen dafür, der geplanten Obsoleszenz ein Ende zu setzen. ♦

www.schridde.org 

 

Dieser Text hat Ihnen gefallen?
Die Inhalte von Tentakel sind frei verfügbar. Vielen Dank, wenn Sie unsere Arbeit mit einem kleinen Beitrag unterstützen. Per Twint oder mit einem Klick auf den Button.

Jetzt Spenden