Muss man gelenkig sein, um Yoga zu machen? Im Gegenteil. «Gesegnet sind die Unbeweglichen», sagt Yogalehrer Richard Freeman. Warum, zeigt uns das Buch «Yoga ist ein Arschloch».
Es ist eher ungewöhnlich, dass jemand, der gerne mit dem Laufen anfangen würde, denkt: «Ach nee, so schnell wie der jamaikanische Sprinter Usain Bolt werde ich ja sowieso nicht. Also lass ich es lieber.» Niemand, der sich mit dem Gedanken beschäftigt, joggen zu gehen, stellt einen Vergleich mit dem schnellsten Mann der Welt an. Beim Yoga hingegen denken alle an gelenkige indische Gurus, die beide Füße hinter den Kopf legen und dabei manchmal ziemlich furchteinflößend aussehen. Sich mit ihnen zu identifizieren, fällt einem ungelenkigen Menschen aus dem Westen verständlicherweise nicht leicht. «Yoga? Nee, lass mal lieber. So gelenkig bin ich nicht.»
Dabei ist ungelenkig zu sein der beste Grund, mit Yoga anzufangen. Wenn wir beweglich sind, senkt das die Verletzungsgefahr. Unsere Bewegungsfreiheit nimmt zu. Eine verkürzte hintere Oberschenkelmuskulatur zum Beispiel ist ein typisches Problem von Menschen, die viel sitzen. Dehnung macht die Muskulatur wieder geschmeidiger, ohne dass sie dabei ihre Kraft verliert. Zudem werden durch die Streckung des Körpers und die intensive Atmung beim Yoga die Muskulatur und die inneren Organe besser durchblutet. Durch Stress verspannte Muskeln, Sehnen und Bänder entspannen sich. Dehnung – richtig ausgeführt – hilft zudem, Muskeln zu reparieren und zu erholen.
Es ist eine Frage des inneren Schweinehundes.
Yoga ist aber auch Muskeltraining. Nahezu in jeder Yogapose arbeiten wir mit der Bauchmuskulatur, um den Körper zu stabilisieren. Die Halteübungen, die wir beim Yoga durchführen, sorgen im Zusammenspiel mit der Atemtechnik dafür, dass unsere Muskulatur jede Menge zu tun hat. Das Gute ist: Dabei arbeiten wir nur mit dem eigenen Körpergewicht, und das verringert das Verletzungsrisiko. Yoga schult zudem unser Gleichgewicht. Das ist insofern interessant, weil fast jeder von uns eine starke und eine schwache Seite hat. Vor allem, wenn die beiden Seiten in ihrer Kraft deutlich voneinander abweichen, kann es zu Überlastungen kommen. Diese betreffen paradoxerweise meist die stärkere Seite, da sie die Schwächen der anderen Seite kompensieren muss. Beim Yoga wird darauf geachtet, dass beide Seiten des Körpers trainiert und gedehnt werden. Oft schlagen Yogalehrer vor, dass wir uns der Seite widmen, die wir normalerweise nicht benutzen.
Yoga hat viele Vorteile, gerade für unflexible Menschen. Es ist eher eine Frage des Durchhaltevermögens und des inneren Schweinehundes. Klar, wer sich verbiegen kann wie eine Brezel, geht meistens gerne zum Yoga. Alles wirkt einfach, und man gibt eine gute Figur ab unter all den Unbeweglichen. Diese haben es natürlich viel schwerer in den Yogastunden. Aber sie sind diejenigen, die am schnellsten die Verbesserungen und Veränderungen im Körper feststellen werden. Dass Stretching nicht immer zu den unterhaltsamsten Aktivitäten in unserem Leben zählt, wissen wir schon seit dem Turnunterricht in der Grundschule. Aber Zähneputzen tut das ja auch nicht. Und trotzdem machen wir es jeden Tag. ♦
Teil 1: Werd nicht seltsam!
Teil 2: Von Football-Gladiatoren und Blumenkindern
Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch «Yoga ist ein Arschloch. Warum es uns trotzdem so guttut» von Christine Bielecki. Verlag Die Werkstatt 2016. ISBN: 978-3-7307-0260-4
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